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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Theil geworden, so ging ihnen nun besonders bei
ihrem Eindringen in die Geschichte ein reiches
und ergiebiges Feld auf, welches sie mit immer
größerer Freude durchwandelten. Ganze Stuben
voll waren sie an Sonntagsmorgen beisammen,
disputirten und theilten sich die immer neuen Ent¬
deckungen mit, wie allezeit die gleichen Ursachen
die gleichen Wirkungen hervorgebracht hätten und
dergleichen. Wenn sie auch Schiller auf die
Höhen seiner philosophischen Arbeiten nicht zu
folgen vermochten, so erbauten sie sich um so
mehr an seinen geschichtlichen Werken, und von
diesem Standpunkte aus ergriffen sie auch seine
Dichtungen, welche sie auf diese Weise ganz prak¬
tisch nachfühlten und genossen, ohne auf die künst¬
lerische Rechenschaft, die der große Schriftsteller
sich selber gab, weiter eingehen zu können. Sie
hatten die größte Freude an seinen Gestalten und
wußten nichts Aehnliches aufzufinden, das sie so
befriedigt hätte. Seine gleichmäßige Gluth und
Reinheit des Gedankens und der Sprache war
mehr der Ausdruck für ihr schlichtes, bescheidenes
Treiben, als für das Wesen mancher Schiller¬

Theil geworden, ſo ging ihnen nun beſonders bei
ihrem Eindringen in die Geſchichte ein reiches
und ergiebiges Feld auf, welches ſie mit immer
groͤßerer Freude durchwandelten. Ganze Stuben
voll waren ſie an Sonntagsmorgen beiſammen,
disputirten und theilten ſich die immer neuen Ent¬
deckungen mit, wie allezeit die gleichen Urſachen
die gleichen Wirkungen hervorgebracht haͤtten und
dergleichen. Wenn ſie auch Schiller auf die
Hoͤhen ſeiner philoſophiſchen Arbeiten nicht zu
folgen vermochten, ſo erbauten ſie ſich um ſo
mehr an ſeinen geſchichtlichen Werken, und von
dieſem Standpunkte aus ergriffen ſie auch ſeine
Dichtungen, welche ſie auf dieſe Weiſe ganz prak¬
tiſch nachfuͤhlten und genoſſen, ohne auf die kuͤnſt¬
leriſche Rechenſchaft, die der große Schriftſteller
ſich ſelber gab, weiter eingehen zu koͤnnen. Sie
hatten die groͤßte Freude an ſeinen Geſtalten und
wußten nichts Aehnliches aufzufinden, das ſie ſo
befriedigt haͤtte. Seine gleichmaͤßige Gluth und
Reinheit des Gedankens und der Sprache war
mehr der Ausdruck fuͤr ihr ſchlichtes, beſcheidenes
Treiben, als fuͤr das Weſen mancher Schiller¬

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[115/0129] Theil geworden, ſo ging ihnen nun beſonders bei ihrem Eindringen in die Geſchichte ein reiches und ergiebiges Feld auf, welches ſie mit immer groͤßerer Freude durchwandelten. Ganze Stuben voll waren ſie an Sonntagsmorgen beiſammen, disputirten und theilten ſich die immer neuen Ent¬ deckungen mit, wie allezeit die gleichen Urſachen die gleichen Wirkungen hervorgebracht haͤtten und dergleichen. Wenn ſie auch Schiller auf die Hoͤhen ſeiner philoſophiſchen Arbeiten nicht zu folgen vermochten, ſo erbauten ſie ſich um ſo mehr an ſeinen geſchichtlichen Werken, und von dieſem Standpunkte aus ergriffen ſie auch ſeine Dichtungen, welche ſie auf dieſe Weiſe ganz prak¬ tiſch nachfuͤhlten und genoſſen, ohne auf die kuͤnſt¬ leriſche Rechenſchaft, die der große Schriftſteller ſich ſelber gab, weiter eingehen zu koͤnnen. Sie hatten die groͤßte Freude an ſeinen Geſtalten und wußten nichts Aehnliches aufzufinden, das ſie ſo befriedigt haͤtte. Seine gleichmaͤßige Gluth und Reinheit des Gedankens und der Sprache war mehr der Ausdruck fuͤr ihr ſchlichtes, beſcheidenes Treiben, als fuͤr das Weſen mancher Schiller¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/129>, abgerufen am 28.11.2024.