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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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sondern zu der gemüthlichen Klasse, welche sich dar¬
auf beschränkt, die Früchte jener Bemühungen zu ge¬
nießen und sich ohne weiteres Kopfzerbrechen
lustig zu machen, so lange es Kirchweih ist.

Aber diese ganze Herrlichkeit barg bereits den
Keim ihres Zerfalles in sich selbst. Der Pfarrer
hatte einen Sohn und eine Tochter, welche beide
in ihren Neigungen von denjenigen ihrer Umge¬
bung abwichen. Während der Sohn, ebenfalls
ein Geistlicher und dazu bestimmt, seinem Vater
im Amte zu folgen, vielfache Verbindungen mit
jungen Bauern anknüpfte, mit ihnen ganze Tage
auf dem Felde lag oder auf Viehmärkte fuhr und
mit Kennerblick die jungen Kühe betastete, hing
die Tochter, so oft sie nur immer konnte, die
griechischen Gewänder an den Nagel und zog sich
in Küche und Garten zurück, dafür sorgend, daß
die unruhige Gesellschaft etwas Ordentliches zu
beißen fand, wenn sie von ihren Fahrten zurück¬
kehrte. Auch war diese Küche nicht der schwächste
Anziehungspunkt für die genäschigen Städtebe¬
wohner, und der große gutbebaute Garten zeugte

ſondern zu der gemuͤthlichen Klaſſe, welche ſich dar¬
auf beſchraͤnkt, die Fruͤchte jener Bemuͤhungen zu ge¬
nießen und ſich ohne weiteres Kopfzerbrechen
luſtig zu machen, ſo lange es Kirchweih iſt.

Aber dieſe ganze Herrlichkeit barg bereits den
Keim ihres Zerfalles in ſich ſelbſt. Der Pfarrer
hatte einen Sohn und eine Tochter, welche beide
in ihren Neigungen von denjenigen ihrer Umge¬
bung abwichen. Waͤhrend der Sohn, ebenfalls
ein Geiſtlicher und dazu beſtimmt, ſeinem Vater
im Amte zu folgen, vielfache Verbindungen mit
jungen Bauern anknuͤpfte, mit ihnen ganze Tage
auf dem Felde lag oder auf Viehmaͤrkte fuhr und
mit Kennerblick die jungen Kuͤhe betaſtete, hing
die Tochter, ſo oft ſie nur immer konnte, die
griechiſchen Gewaͤnder an den Nagel und zog ſich
in Kuͤche und Garten zuruͤck, dafuͤr ſorgend, daß
die unruhige Geſellſchaft etwas Ordentliches zu
beißen fand, wenn ſie von ihren Fahrten zuruͤck¬
kehrte. Auch war dieſe Kuͤche nicht der ſchwaͤchſte
Anziehungspunkt fuͤr die genaͤſchigen Staͤdtebe¬
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[102/0116] ſondern zu der gemuͤthlichen Klaſſe, welche ſich dar¬ auf beſchraͤnkt, die Fruͤchte jener Bemuͤhungen zu ge¬ nießen und ſich ohne weiteres Kopfzerbrechen luſtig zu machen, ſo lange es Kirchweih iſt. Aber dieſe ganze Herrlichkeit barg bereits den Keim ihres Zerfalles in ſich ſelbſt. Der Pfarrer hatte einen Sohn und eine Tochter, welche beide in ihren Neigungen von denjenigen ihrer Umge¬ bung abwichen. Waͤhrend der Sohn, ebenfalls ein Geiſtlicher und dazu beſtimmt, ſeinem Vater im Amte zu folgen, vielfache Verbindungen mit jungen Bauern anknuͤpfte, mit ihnen ganze Tage auf dem Felde lag oder auf Viehmaͤrkte fuhr und mit Kennerblick die jungen Kuͤhe betaſtete, hing die Tochter, ſo oft ſie nur immer konnte, die griechiſchen Gewaͤnder an den Nagel und zog ſich in Kuͤche und Garten zuruͤck, dafuͤr ſorgend, daß die unruhige Geſellſchaft etwas Ordentliches zu beißen fand, wenn ſie von ihren Fahrten zuruͤck¬ kehrte. Auch war dieſe Kuͤche nicht der ſchwaͤchſte Anziehungspunkt fuͤr die genaͤſchigen Staͤdtebe¬ wohner, und der große gutbebaute Garten zeugte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/116>, abgerufen am 22.11.2024.