Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ersten und einzigen Male mit einander zu Markt waren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, welches mit Zuckerguß freundlich geweißt war, mit einem grünen Dach, auf welchem weiße Tauben saßen, und aus dessen Schornstein ein Amörchen guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige Leutchen mit winzig kleinen rothen Mündchen, die sich recht eigentlich küßten, da der flüchtige praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Mündchen gemacht, die so in einander verflossen. Schwarze Pünktchen stellten muntere Aeuglein vor. Auf der rosenrothen Hausthür aber waren diese Verse zu lesen: Tritt in mein Haus, o Liebste! Doch sei dir unverhehlt: Drin wird allein nach Küssen Gerechnet und gezählt. Die Liebste sprach: O Liebster! Mich schrecket Nichts zurück! Hab' Alles wohl erwogen: In dir nur lebt mein Glück! Und wenn ich's recht bedenke, Kam ich deßwegen auch! Nun denn, spazier' mit Segen Herein und üb' den Brauch! Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen complimentirten sich diesen Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen ersten und einzigen Male mit einander zu Markt waren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, welches mit Zuckerguß freundlich geweißt war, mit einem grünen Dach, auf welchem weiße Tauben saßen, und aus dessen Schornstein ein Amörchen guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige Leutchen mit winzig kleinen rothen Mündchen, die sich recht eigentlich küßten, da der flüchtige praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Mündchen gemacht, die so in einander verflossen. Schwarze Pünktchen stellten muntere Aeuglein vor. Auf der rosenrothen Hausthür aber waren diese Verse zu lesen: Tritt in mein Haus, o Liebste! Doch sei dir unverhehlt: Drin wird allein nach Küssen Gerechnet und gezählt. Die Liebste sprach: O Liebster! Mich schrecket Nichts zurück! Hab' Alles wohl erwogen: In dir nur lebt mein Glück! Und wenn ich's recht bedenke, Kam ich deßwegen auch! Nun denn, spazier' mit Segen Herein und üb' den Brauch! Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen complimentirten sich diesen Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0098"/> ersten und einzigen Male mit einander zu Markt waren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, welches mit Zuckerguß freundlich geweißt war, mit einem grünen Dach, auf welchem weiße Tauben saßen, und aus dessen Schornstein ein Amörchen guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige Leutchen mit winzig kleinen rothen Mündchen, die sich recht eigentlich küßten, da der flüchtige praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Mündchen gemacht, die so in einander verflossen. Schwarze Pünktchen stellten muntere Aeuglein vor. Auf der rosenrothen Hausthür aber waren diese Verse zu lesen:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Tritt in mein Haus, o Liebste!</l><lb/> <l>Doch sei dir unverhehlt:</l><lb/> <l>Drin wird allein nach Küssen</l><lb/> <l>Gerechnet und gezählt.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Die Liebste sprach: O Liebster!</l><lb/> <l>Mich schrecket Nichts zurück!</l><lb/> <l>Hab' Alles wohl erwogen:</l><lb/> <l>In dir nur lebt mein Glück!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und wenn ich's recht bedenke,</l><lb/> <l>Kam ich deßwegen auch!</l><lb/> <l>Nun denn, spazier' mit Segen</l><lb/> <l>Herein und üb' den Brauch!</l><lb/> </lg> </lg> <p>Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen complimentirten sich diesen Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
ersten und einzigen Male mit einander zu Markt waren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, welches mit Zuckerguß freundlich geweißt war, mit einem grünen Dach, auf welchem weiße Tauben saßen, und aus dessen Schornstein ein Amörchen guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige Leutchen mit winzig kleinen rothen Mündchen, die sich recht eigentlich küßten, da der flüchtige praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Mündchen gemacht, die so in einander verflossen. Schwarze Pünktchen stellten muntere Aeuglein vor. Auf der rosenrothen Hausthür aber waren diese Verse zu lesen:
Tritt in mein Haus, o Liebste!
Doch sei dir unverhehlt:
Drin wird allein nach Küssen
Gerechnet und gezählt.
Die Liebste sprach: O Liebster!
Mich schrecket Nichts zurück!
Hab' Alles wohl erwogen:
In dir nur lebt mein Glück!
Und wenn ich's recht bedenke,
Kam ich deßwegen auch!
Nun denn, spazier' mit Segen
Herein und üb' den Brauch!
Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen complimentirten sich diesen Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/98>, abgerufen am 31.07.2024. |