Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache, und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüthe, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse müssen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies also geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen aber nur einmal, und auch diese Blüthe zerschlägt der Sturm, tödtet der Frost oder ersäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildniß oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit, und es wird auch nichts daraus, als zuweilen eine herbe, verkrüppelte Holzsfucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Aehre steht neben der Aehre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder nicht, und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird. Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache, und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüthe, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse müssen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies also geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen aber nur einmal, und auch diese Blüthe zerschlägt der Sturm, tödtet der Frost oder ersäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildniß oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit, und es wird auch nichts daraus, als zuweilen eine herbe, verkrüppelte Holzsfucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Aehre steht neben der Aehre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder nicht, und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird. Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0050"/> einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache, und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüthe, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse müssen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies also geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen aber nur einmal, und auch diese Blüthe zerschlägt der Sturm, tödtet der Frost oder ersäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildniß oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit, und es wird auch nichts daraus, als zuweilen eine herbe, verkrüppelte Holzsfucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Aehre steht neben der Aehre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder nicht, und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird.</p><lb/> <p>Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache, und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüthe, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse müssen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies also geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen aber nur einmal, und auch diese Blüthe zerschlägt der Sturm, tödtet der Frost oder ersäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildniß oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit, und es wird auch nichts daraus, als zuweilen eine herbe, verkrüppelte Holzsfucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Aehre steht neben der Aehre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder nicht, und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird.
Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr
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