Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt. Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt! -- Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir! Halt! rief Sali, hier ist dein Brautbett! Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: Was willst du thun? Wollen wir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt? -- Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigenthum unten wieder finden, wo es ja doch hin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus! Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkos'te ihn so heftig ungeberdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief: Ich will auch Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt. Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt! — Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir! Halt! rief Sali, hier ist dein Brautbett! Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: Was willst du thun? Wollen wir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt? — Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigenthum unten wieder finden, wo es ja doch hin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus! Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkos'te ihn so heftig ungeberdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief: Ich will auch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0118"/> Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt.</p><lb/> <p>Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt! — Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir!</p><lb/> <p>Halt! rief Sali, hier ist dein Brautbett!</p><lb/> <p>Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: Was willst du thun? Wollen wir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt? — Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigenthum unten wieder finden, wo es ja doch hin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus!</p><lb/> <p>Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkos'te ihn so heftig ungeberdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief: Ich will auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt.
Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt! — Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir!
Halt! rief Sali, hier ist dein Brautbett!
Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: Was willst du thun? Wollen wir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt? — Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigenthum unten wieder finden, wo es ja doch hin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus!
Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkos'te ihn so heftig ungeberdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief: Ich will auch
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/118>, abgerufen am 16.02.2025. |