Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.Anscheinend arbeitet jeder Warenproduzent für sich, aber tatsächlich arbeitet Nun ist es leicht zu verstehen, warum die glänzenden Errungenschaften des Jn einer für den Selbstverbrauch (im oben entwickelten Sinne) produ- Anders in der Gesellschaft der Warenproduktion. Die Produktionsmittel Das ändert sich mit dem Aufkommen des Großbetriebes in Jndustrie und Anscheinend arbeitet jeder Warenproduzent für sich, aber tatsächlich arbeitet Nun ist es leicht zu verstehen, warum die glänzenden Errungenschaften des Jn einer für den Selbstverbrauch (im oben entwickelten Sinne) produ- Anders in der Gesellschaft der Warenproduktion. Die Produktionsmittel Das ändert sich mit dem Aufkommen des Großbetriebes in Jndustrie und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0009" n="7"/> <p>Anscheinend arbeitet jeder Warenproduzent für sich, aber tatsächlich arbeitet<lb/> er für andere. Wenn auch die Warenproduktion durch selbständige, von einander<lb/> unabhängige Produzenten betrieben wird, so ist sie doch eine Art gesellschaftlicher<lb/> Produktion. Aber wenn auch jeder Warenproduzent für andere arbeitet, so tut<lb/> er das nur unter der Voraussetzung, daß sie auch für ihn arbeiten. Er will sich<lb/> nicht ausbeuten lassen. Ebensoviel Arbeit, wie er für andere leistet, sollen diese<lb/> für ihn leisten. Das heißt mit anderen Worten: Der Tauschwert jeder Ware,<lb/> das Verhältnis, in dem sie mit anderen Waren sich austauscht, populär ge-<lb/> sprochen ihre Kaufkraft, wird bestimmt durch die zu ihrer Herstellung notwendige<lb/> Arbeitszeit – das heißt durchschnittlich, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit,<lb/> denn es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Verhältnis. Eine bestimmte<lb/> Ware, etwa ein Stück Leinwand, hat den gleichen Wert, ob der Arbeiter, der sie<lb/> erzeugte, ein fauler und langsamer gewesen oder ein fleißiger und flinker. Die<lb/> allgemeinen Verhältnisse der Produktion, nicht die des einzelnen Produzenten,<lb/> bestimmen den Wert.</p><lb/> <p>Nun ist es leicht zu verstehen, warum die glänzenden Errungenschaften des<lb/> Großbetriebes, namentlich des Maschinenbetriebes, anstatt Muße und Wohlstand<lb/> für alle, vielmehr Elend, Ueberarbeit und Entartung für die weitesten Volks-<lb/> schichten mit sich gebracht haben und in steigendem Maße bringen.</p><lb/> <p>Jn einer für den Selbstverbrauch (im oben entwickelten Sinne) produ-<lb/> zierenden Gesellschaft mit Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, also in<lb/> einer kommunistischen oder wie man heute sagt, sozialistischen Gesellschaft, kommt<lb/> jede Verbesserung der Produktionsmittel der Gesamtheit und zwar ohne weiteres<lb/> zugute; ein jeder hat ein Jnteresse daran, eine derartige Verbesserung ver-<lb/> allgemeinert zu sehen, da sie auch ihm zugute kommt, entweder durch Ver-<lb/> mehrung der Lebens- und Genußmittel, die der Gesellschaft zu Gebote stehen,<lb/> oder durch Verminderung der Arbeitslast, welche die Gesellschaft den einzelnen<lb/> zur Deckung ihrer Bedürfnisse auflegen muß.</p><lb/> <p>Anders in der Gesellschaft der Warenproduktion. Die Produktionsmittel<lb/> sind Privateigentum: Wer bessere Produktionsmittel besitzt, erzeugt, bei gleichen<lb/> Arbeitskräften und sonst gleichen Verhältnissen, in gleichen Zeiten einen größeren<lb/> Wert als seine Konkurrenten, die schlechtere Produktionsmittel besitzen. So<lb/> lange der Kleinbetrieb herrscht, macht das nicht viel aus. So wichtig auch die<lb/> Güte der Werkzeuge und der Rohstoffe für den Bauer und Handwerker ist, viel<lb/> wichtiger noch sind seine <hi rendition="#g">persönlichen</hi> Eigenschaften, sein Fleiß, seine<lb/> Geschicklichkeit, seine Erfahrung und Umsicht. Und die Werkzeuge sind leicht zu<lb/> beschaffen, die Menge der Rohstoffe, die verarbeitet wird, ist gering. Wenn ein<lb/> Produzent in dieser Beziehung vor dem anderen einen Vorteil hat, so beruht<lb/> dies auch in der Regel auf seinen <hi rendition="#g">persönlichen</hi> Eigenschaften, besonderer<lb/> Findigkeit, besonderem Wissen, die ihn Dinge sehen lassen, die den anderen ver-<lb/> borgen bleiben. Die Unterschiede in den Produktionsbedingungen zwischen den<lb/> einzelnen Produzenten können da kaum viel größer sein, als die zwischen den<lb/> Begabungen der einzelnen Persönlichkeiten; sie können ein gewisses Maß nicht<lb/> überschreiten und vergehen meist mit den Personen, die sie hervorgerufen.</p><lb/> <p>Das ändert sich mit dem Aufkommen des Großbetriebes in Jndustrie und<lb/> Landwirtschaft, und zwar umsomehr, je höhere Formen dieser annimmt. Die<lb/><hi rendition="#g">persönlichen</hi> Eigenschaften des Arbeiters treten im Großbetrieb immer<lb/> mehr zurück; dagegen gewinnt die Beschaffenheit der Produktionsmittel immer<lb/> mehr entscheidende Bedeutung. Diese selbst werden immer umfangreicher, immer<lb/> kostspieliger. Nur wer über ein bedeutendes Vermögen verfügt, vermag die<lb/> Produktionsmittel eines Großbetriebes zu erwerben; nur ein solcher vermag der<lb/> Vorteile teilhaftig zu werden, die sie gegenüber den geringen, rückständigen<lb/> Produktionsmitteln der Kleinbetriebe bieten. Jn einer sozialistischen Gesellschaft<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0009]
Anscheinend arbeitet jeder Warenproduzent für sich, aber tatsächlich arbeitet
er für andere. Wenn auch die Warenproduktion durch selbständige, von einander
unabhängige Produzenten betrieben wird, so ist sie doch eine Art gesellschaftlicher
Produktion. Aber wenn auch jeder Warenproduzent für andere arbeitet, so tut
er das nur unter der Voraussetzung, daß sie auch für ihn arbeiten. Er will sich
nicht ausbeuten lassen. Ebensoviel Arbeit, wie er für andere leistet, sollen diese
für ihn leisten. Das heißt mit anderen Worten: Der Tauschwert jeder Ware,
das Verhältnis, in dem sie mit anderen Waren sich austauscht, populär ge-
sprochen ihre Kaufkraft, wird bestimmt durch die zu ihrer Herstellung notwendige
Arbeitszeit – das heißt durchschnittlich, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit,
denn es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Verhältnis. Eine bestimmte
Ware, etwa ein Stück Leinwand, hat den gleichen Wert, ob der Arbeiter, der sie
erzeugte, ein fauler und langsamer gewesen oder ein fleißiger und flinker. Die
allgemeinen Verhältnisse der Produktion, nicht die des einzelnen Produzenten,
bestimmen den Wert.
Nun ist es leicht zu verstehen, warum die glänzenden Errungenschaften des
Großbetriebes, namentlich des Maschinenbetriebes, anstatt Muße und Wohlstand
für alle, vielmehr Elend, Ueberarbeit und Entartung für die weitesten Volks-
schichten mit sich gebracht haben und in steigendem Maße bringen.
Jn einer für den Selbstverbrauch (im oben entwickelten Sinne) produ-
zierenden Gesellschaft mit Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, also in
einer kommunistischen oder wie man heute sagt, sozialistischen Gesellschaft, kommt
jede Verbesserung der Produktionsmittel der Gesamtheit und zwar ohne weiteres
zugute; ein jeder hat ein Jnteresse daran, eine derartige Verbesserung ver-
allgemeinert zu sehen, da sie auch ihm zugute kommt, entweder durch Ver-
mehrung der Lebens- und Genußmittel, die der Gesellschaft zu Gebote stehen,
oder durch Verminderung der Arbeitslast, welche die Gesellschaft den einzelnen
zur Deckung ihrer Bedürfnisse auflegen muß.
Anders in der Gesellschaft der Warenproduktion. Die Produktionsmittel
sind Privateigentum: Wer bessere Produktionsmittel besitzt, erzeugt, bei gleichen
Arbeitskräften und sonst gleichen Verhältnissen, in gleichen Zeiten einen größeren
Wert als seine Konkurrenten, die schlechtere Produktionsmittel besitzen. So
lange der Kleinbetrieb herrscht, macht das nicht viel aus. So wichtig auch die
Güte der Werkzeuge und der Rohstoffe für den Bauer und Handwerker ist, viel
wichtiger noch sind seine persönlichen Eigenschaften, sein Fleiß, seine
Geschicklichkeit, seine Erfahrung und Umsicht. Und die Werkzeuge sind leicht zu
beschaffen, die Menge der Rohstoffe, die verarbeitet wird, ist gering. Wenn ein
Produzent in dieser Beziehung vor dem anderen einen Vorteil hat, so beruht
dies auch in der Regel auf seinen persönlichen Eigenschaften, besonderer
Findigkeit, besonderem Wissen, die ihn Dinge sehen lassen, die den anderen ver-
borgen bleiben. Die Unterschiede in den Produktionsbedingungen zwischen den
einzelnen Produzenten können da kaum viel größer sein, als die zwischen den
Begabungen der einzelnen Persönlichkeiten; sie können ein gewisses Maß nicht
überschreiten und vergehen meist mit den Personen, die sie hervorgerufen.
Das ändert sich mit dem Aufkommen des Großbetriebes in Jndustrie und
Landwirtschaft, und zwar umsomehr, je höhere Formen dieser annimmt. Die
persönlichen Eigenschaften des Arbeiters treten im Großbetrieb immer
mehr zurück; dagegen gewinnt die Beschaffenheit der Produktionsmittel immer
mehr entscheidende Bedeutung. Diese selbst werden immer umfangreicher, immer
kostspieliger. Nur wer über ein bedeutendes Vermögen verfügt, vermag die
Produktionsmittel eines Großbetriebes zu erwerben; nur ein solcher vermag der
Vorteile teilhaftig zu werden, die sie gegenüber den geringen, rückständigen
Produktionsmitteln der Kleinbetriebe bieten. Jn einer sozialistischen Gesellschaft
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(2018-12-08T17:50:02Z)
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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
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