Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.Lebensbedinung der Zollherrlichkeit geworden. Denn die Preise des Roggens Wie die Zölle auf Vieh, Holz, Getreide, Petroleum usw., so sind die Tabak-, Lebensbedinung der Zollherrlichkeit geworden. Denn die Preise des Roggens Wie die Zölle auf Vieh, Holz, Getreide, Petroleum usw., so sind die Tabak-, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0055" n="53"/> Lebensbedinung der Zollherrlichkeit geworden. Denn die Preise des Roggens<lb/> und des Weizens gleich stehen, wenn Mißernten bei uns und bei den Haupt-<lb/> bezugsländern eintreten, dann erschrickt selbst mancher Zöllner einen Augenblick<lb/> über das drohende Elend, um freilich dann das Volk ruhig weiter zu plündern.<lb/> Jm Jahre 1890 belasteten die Getreidezölle den Brotverbrauch einer Berliner<lb/> Arbeiterfamilie mit einer Mehrausgabe von 108 Mark 72 Pfennige; 1891, mit<lb/> seinem Roggenpreis von 240 Mark für die Tonne (zu 20 Zentnern) schwellte<lb/> diese Ausgabe noch bedeutend an. Was dies besagt bei dem kärglichen Jahres-<lb/> verdienst eines proletarischen Haushalts, bedarf keiner Erläuterung. Unersättlich<lb/> ist der Goldhunger der Zöllner: die Millionentrinkgelder, welche z. B. die<lb/> Schnapssteuer (40 Millionen Mark Liebesgabe an die Fuselbrenner) bringt,<lb/> werden ebenso vergnüglich eingestrichen, wie die Gewinne der landwirtschaft-<lb/> lichen Zölle.</p><lb/> <p>Wie die Zölle auf Vieh, Holz, Getreide, Petroleum usw., so sind die Tabak-,<lb/> Bier-, Branntwein-, Zuckersteuern, nicht minder die städtischen Verzehrungs-<lb/> steuern (Oktroi) eine den Besitzlosen, den kleinen Leuten durch die herrschenden<lb/> Klassen aufgewälzte Last. Die Absicht ist sinnenfällig und sie wird nur zu sehr<lb/> erreicht: die wirtschaftlich Schwachen zugunsten der Starken mit der vollen<lb/> Wucht einer ungerechten Besteuerung zu treffen, einer Besteuerung, die den<lb/> Armen um so härter trifft und um so mitleidsloser aussaugt, je günstiger und<lb/> entlastender sie für den Reichen wirkt. Jndem die notwendigen Lebensbedürfnisse<lb/> der breiten Volksschichten zum reichsprudelnden Quell staatlicher Einnahmen<lb/> und kapitalistischer Gewinne gemacht werden, wird die Aussaugung der Arbeiter<lb/> vollendet. Die, welche im heftigen Daseinskampfe stehen und von der Hand in<lb/> den Mund leben, unterhalten aus ihren Mitteln den Staat, der ihre Ausbeuter<lb/> vertritt und beschützt; sie bereichern den Kapitalisten, für welchen sie den Mehr-<lb/> wert erzeugen, auch noch dadurch, daß sie statt seiner die Steuern zahlen, sie<lb/> werden unter den heutigen Zuständen bis aufs Weiße zur Ader gelassen. Was<lb/> für riesige Erträge die Zölle und Verbrauchssteuern abwerfen, dafür nur einige<lb/> wenige Angaben. Sie lieferten 1878 236 Millionen, 1904 dagegen 844 Millionen<lb/> Mark. Und das sind bloß die Erträge, die in die Reichskasse fließen. Aber die<lb/> Zölle erlauben auch den Produzenten im Jnlande die Preise ihrer Produkte<lb/> entsprechend zu steigern. So betrugen unter den ermäßigten Zöllen, welche die<lb/> Handelsverträge 1892 herbeiführten, die jährlichen Einnahmen des Reiches<lb/> aus den Getreidezöllen in den letzten Jahren 130 bis 160 Millionen Mark.<lb/> Dagegen wird die gesamte Belastung der Konsumenten infolge der Preis-<lb/> steigerung der fünf Hauptgetreidearten, die der Zoll bewirkt, auf über<lb/> 800 Millionen berechnet. Fast 700 Millionen davon fließen in die Taschen der<lb/> Agrarier, namentlich der großen Grundbesitzer. Die neuen Zölle werden diese<lb/> Last nahezu verdoppeln, damit aber auch die Einnahmen der Junker um eine<lb/> weitere halbe Milliarde im Jahre erhöhen. Man sieht, der junkerliche Patrio-<lb/> tismus macht sich bezahlt. Jeder Bissen Brot, jedes Stück Fleisch, das Gläschen<lb/> Branntwein, der Krug Bier des kleinen Mannes, das Oel in seiner Lampe, der<lb/> Stock, den er trägt, alles zollt und steuert dem Staate und den bevorzugten Nutz-<lb/> nießern der Steuerwirtschaft, den Herren mit Wappenschild so gut wie den<lb/> „Raubrittern“, welche, wie der Geheimrat Wagener, der „Kreuzzeitungs“mann<lb/> gesagt hat, „hinter den hohen Fabrikschornsteinen sitzen“. Je ärmer der Staats-<lb/> bürger, desto grausamer wird ihm mitgespielt. Nicht genug mit der Verelendung,<lb/> wie sie die heutige Wirtschaftsweise denen bringt, welche gar nichts haben, sind<lb/> diese selben Habenichtse die Träger der Hauptlasten des Steuerwesens, werden<lb/> sie von einem Schmarotzertum ausgesogen, das keine Gnade, keine Rücksicht<lb/> kennt und auf die tödliche Qual der das Volk erschöpfenden Abgabenwirtschaft<lb/> den Trumpf der Hohnrede von dem „Schutze der nationalen Arbeit“ setzt. Dieser<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0055]
Lebensbedinung der Zollherrlichkeit geworden. Denn die Preise des Roggens
und des Weizens gleich stehen, wenn Mißernten bei uns und bei den Haupt-
bezugsländern eintreten, dann erschrickt selbst mancher Zöllner einen Augenblick
über das drohende Elend, um freilich dann das Volk ruhig weiter zu plündern.
Jm Jahre 1890 belasteten die Getreidezölle den Brotverbrauch einer Berliner
Arbeiterfamilie mit einer Mehrausgabe von 108 Mark 72 Pfennige; 1891, mit
seinem Roggenpreis von 240 Mark für die Tonne (zu 20 Zentnern) schwellte
diese Ausgabe noch bedeutend an. Was dies besagt bei dem kärglichen Jahres-
verdienst eines proletarischen Haushalts, bedarf keiner Erläuterung. Unersättlich
ist der Goldhunger der Zöllner: die Millionentrinkgelder, welche z. B. die
Schnapssteuer (40 Millionen Mark Liebesgabe an die Fuselbrenner) bringt,
werden ebenso vergnüglich eingestrichen, wie die Gewinne der landwirtschaft-
lichen Zölle.
Wie die Zölle auf Vieh, Holz, Getreide, Petroleum usw., so sind die Tabak-,
Bier-, Branntwein-, Zuckersteuern, nicht minder die städtischen Verzehrungs-
steuern (Oktroi) eine den Besitzlosen, den kleinen Leuten durch die herrschenden
Klassen aufgewälzte Last. Die Absicht ist sinnenfällig und sie wird nur zu sehr
erreicht: die wirtschaftlich Schwachen zugunsten der Starken mit der vollen
Wucht einer ungerechten Besteuerung zu treffen, einer Besteuerung, die den
Armen um so härter trifft und um so mitleidsloser aussaugt, je günstiger und
entlastender sie für den Reichen wirkt. Jndem die notwendigen Lebensbedürfnisse
der breiten Volksschichten zum reichsprudelnden Quell staatlicher Einnahmen
und kapitalistischer Gewinne gemacht werden, wird die Aussaugung der Arbeiter
vollendet. Die, welche im heftigen Daseinskampfe stehen und von der Hand in
den Mund leben, unterhalten aus ihren Mitteln den Staat, der ihre Ausbeuter
vertritt und beschützt; sie bereichern den Kapitalisten, für welchen sie den Mehr-
wert erzeugen, auch noch dadurch, daß sie statt seiner die Steuern zahlen, sie
werden unter den heutigen Zuständen bis aufs Weiße zur Ader gelassen. Was
für riesige Erträge die Zölle und Verbrauchssteuern abwerfen, dafür nur einige
wenige Angaben. Sie lieferten 1878 236 Millionen, 1904 dagegen 844 Millionen
Mark. Und das sind bloß die Erträge, die in die Reichskasse fließen. Aber die
Zölle erlauben auch den Produzenten im Jnlande die Preise ihrer Produkte
entsprechend zu steigern. So betrugen unter den ermäßigten Zöllen, welche die
Handelsverträge 1892 herbeiführten, die jährlichen Einnahmen des Reiches
aus den Getreidezöllen in den letzten Jahren 130 bis 160 Millionen Mark.
Dagegen wird die gesamte Belastung der Konsumenten infolge der Preis-
steigerung der fünf Hauptgetreidearten, die der Zoll bewirkt, auf über
800 Millionen berechnet. Fast 700 Millionen davon fließen in die Taschen der
Agrarier, namentlich der großen Grundbesitzer. Die neuen Zölle werden diese
Last nahezu verdoppeln, damit aber auch die Einnahmen der Junker um eine
weitere halbe Milliarde im Jahre erhöhen. Man sieht, der junkerliche Patrio-
tismus macht sich bezahlt. Jeder Bissen Brot, jedes Stück Fleisch, das Gläschen
Branntwein, der Krug Bier des kleinen Mannes, das Oel in seiner Lampe, der
Stock, den er trägt, alles zollt und steuert dem Staate und den bevorzugten Nutz-
nießern der Steuerwirtschaft, den Herren mit Wappenschild so gut wie den
„Raubrittern“, welche, wie der Geheimrat Wagener, der „Kreuzzeitungs“mann
gesagt hat, „hinter den hohen Fabrikschornsteinen sitzen“. Je ärmer der Staats-
bürger, desto grausamer wird ihm mitgespielt. Nicht genug mit der Verelendung,
wie sie die heutige Wirtschaftsweise denen bringt, welche gar nichts haben, sind
diese selben Habenichtse die Träger der Hauptlasten des Steuerwesens, werden
sie von einem Schmarotzertum ausgesogen, das keine Gnade, keine Rücksicht
kennt und auf die tödliche Qual der das Volk erschöpfenden Abgabenwirtschaft
den Trumpf der Hohnrede von dem „Schutze der nationalen Arbeit“ setzt. Dieser
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-12-08T17:50:02Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-12-08T17:50:02Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |