ihm; allein er blieb unbeweglich. "Er könnte sie ein- mal nicht leiden" -- dabei blieb's. Des andern Ta- ges setzte er sich in seine Kalesche, und fuhr nach Groß- Glogau, um dort die Scheidung zu veranstalten. Mit welchen gültigen Gründen er sein Gesuch unterstützte, da er wider ihr häusliches Betragen gar keine Ursach zu klagen hatte, ist unbekannt. Genug, sein Wille ward niedergeschrieben, und nach einiger Zeit wurden beide Theile nach Großglogau zum ersten Termin citirt. Er setzte sich mit ihr in seinen Wagen, und gab ihr unterwegs die schönsten Schmeichelworte: daß sie doch gutwillig in die Scheidung einstimmen möchte, denn der Widerstand würde ihr zu nichts helfen, als seine Abneigung gegen sie zu vermehren. Ohnerachtet sie vor Kummer kaum sich selber bewußt war, so versprach sie es ihm doch aus Gutmüthigkeit und Unerfahrenheit. Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und willigte darin, alles so zu bejahen, wie er es haben wollte. Eben so verhielt sie sich beim letzten Termin, wo sie zur wirklichen Scheidung abermals in einem Wagen nach Glogau fuhren. Als sie angekommen, und an dem Rathhause, wo ihr Termin abgehört wer- den sollte, ausgestiegen waren, eilte er zuerst hinauf, und hieß sie unten warten. Jezt war sie allein; das Gräßliche ihres Zustandes fiel lebhaft auf ihr Herz; sie weinte, daß eine Thräne die andere schlug. Ein
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ihm; allein er blieb unbeweglich. „Er koͤnnte ſie ein- mal nicht leiden“ — dabei blieb’s. Des andern Ta- ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß- Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte, da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt. Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit. Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin, wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen, und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer- den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf, und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz; ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Ein
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ihm; allein er blieb unbeweglich. „Er koͤnnte ſie ein-
mal nicht leiden“ — dabei blieb’s. Des andern Ta-
ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß-
Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit
welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte,
da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach
zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille
ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden
beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt.
Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr
unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch
gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn
der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine
Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie
vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach
ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit.
Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und
willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben
wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin,
wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem
Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen,
und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer-
den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf,
und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das
Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz;
ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Ein
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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