Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

in die Hand zu nehmen, indem sie etwa just ein Kind
zu warten hatte. Ihrem Manne schien dies große
Unordnung zu seyn, und zuweilen blieb es nicht beim
Schelten allein, sondern er brauchte Gewalt, riß ihr
das Buch aus den Händen, und warf es ins Feuer.
Noch ein Uebel, welches aus dem Lesen und aus dem
Versemachen bei ihrem Wollrade entstand, war das,
daß sie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer
übersichtiger wurde, wodurch manche häusliche Unord-
nung entstand, welches die Abneigung ihres Mannes
vermehrte. Ihr diese Abneigung in ihrer ganzen
Stärke zu zeigen, bettete er sich aus dem gemeinschaft-
lichen Ehebette weg, als sie zum drittenmale Mutter
wurde, und schlief in der Nebenkammer. Diese Hand-
lung war wider alle dort eingeführte eheliche Sitte,
und gleichsam eine Vorstimme der Scheidung ihrer
Gemüther. Seine Frau, welche so innig an ihn hing,
sahe diese Absonderung als dasjenige Unglück an, wel-
ches es für sie ward. Sie fühlte die Schmach, welche
er ihr dadurch anthat, auf das schrecklichste, und zer-
floß fast vor ihm in Bitten und Thränen: daß er doch
den Leuten kein solch Aergerniß geben sollte und sich
von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn
wie Felsen, er blieb unbeweglich und unveränderlich in
seinem Entschluß.


in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind
zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große
Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim
Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr
das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer.
Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem
Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das,
daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer
uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord-
nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes
vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen
Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft-
lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter
wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand-
lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte,
und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer
Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing,
ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel-
ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche
er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer-
floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch
den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich
von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn
wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in
ſeinem Entſchluß.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="50"/>
in die Hand zu nehmen, indem &#x017F;ie etwa ju&#x017F;t ein Kind<lb/>
zu warten hatte. Ihrem Manne &#x017F;chien dies große<lb/>
Unordnung zu &#x017F;eyn, und zuweilen blieb es nicht beim<lb/>
Schelten allein, &#x017F;ondern er brauchte Gewalt, riß ihr<lb/>
das Buch aus den Ha&#x0364;nden, und warf es ins Feuer.<lb/>
Noch ein Uebel, welches aus dem Le&#x017F;en und aus dem<lb/>
Ver&#x017F;emachen bei ihrem Wollrade ent&#x017F;tand, war das,<lb/>
daß &#x017F;ie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ichtiger wurde, wodurch manche ha&#x0364;usliche Unord-<lb/>
nung ent&#x017F;tand, welches die Abneigung ihres Mannes<lb/>
vermehrte. Ihr die&#x017F;e Abneigung in ihrer ganzen<lb/>
Sta&#x0364;rke zu zeigen, bettete er &#x017F;ich aus dem gemein&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Ehebette weg, als &#x017F;ie zum drittenmale Mutter<lb/>
wurde, und &#x017F;chlief in der Nebenkammer. Die&#x017F;e Hand-<lb/>
lung war wider alle dort eingefu&#x0364;hrte eheliche Sitte,<lb/>
und gleich&#x017F;am eine Vor&#x017F;timme der Scheidung ihrer<lb/>
Gemu&#x0364;ther. Seine Frau, welche &#x017F;o innig an ihn hing,<lb/>
&#x017F;ahe die&#x017F;e Ab&#x017F;onderung als dasjenige Unglu&#x0364;ck an, wel-<lb/>
ches es fu&#x0364;r &#x017F;ie ward. Sie fu&#x0364;hlte die Schmach, welche<lb/>
er ihr dadurch anthat, auf das &#x017F;chrecklich&#x017F;te, und zer-<lb/>
floß fa&#x017F;t vor ihm in Bitten und Thra&#x0364;nen: daß er doch<lb/>
den Leuten kein &#x017F;olch Aergerniß geben &#x017F;ollte und &#x017F;ich<lb/>
von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn<lb/>
wie Fel&#x017F;en, er blieb unbeweglich und unvera&#x0364;nderlich in<lb/>
&#x017F;einem Ent&#x017F;chluß.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0082] in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer. Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das, daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord- nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft- lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand- lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte, und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing, ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel- ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer- floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in ſeinem Entſchluß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/82
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/82>, abgerufen am 22.11.2024.