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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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entstand eine Furcht und eine Blödigkeit gegen ihn,
welche fast sklavisch war, wodurch sie ihm noch mehr
mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man-
cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten,
daß sie nie das rechte Mittel wählen konnte, wodurch
sie ihn hätte geneigter machen können. Rathgeber
fehlten ihr auch, weil sie sich unter lauter fremden
Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige
Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin,
und dieses war in der That der größte Trost für sie.

In solcher traurigen Lage, welche sie bloß durch die
Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekämpfte, ge-
bahr sie ihren ersten Sohn, als sie noch nicht völlig
siebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann so
zärtlich, daß sie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi-
niaturbild seines Vaters sey; allein er war es nicht, ob
er gleich weit schöner war, als sein Vater. Darüber
betrübte sich die Wöchnerin bis zu Thränen, und wenn
das Knäbchen an ihrer Brust lag, so weinte sie über
ihn, weil er seinem Vater nicht ähnlich sah. Ihr
Mann war gegen ihr zärtliches Gefühl so unerkenntlich,
daß sie ihm sogar es verbergen mußte, weil er ihr dro-
hete, wenn sie weinen wollte, woran auch wol Schuld
war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein-
wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte sie in einem
Buche zu lesen, welches sie irgendwo geliehen bekom-

entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn,
welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr
mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man-
cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten,
daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch
ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber
fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden
Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige
Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin,
und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie.

In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die
Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge-
bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig
ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo
zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi-
niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob
er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber
betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn
das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber
ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr
Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich,
daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro-
hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld
war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein-
wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem
Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom-

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[43/0075] entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn, welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man- cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten, daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin, und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie. In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge- bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi- niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich, daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro- hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein- wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom-

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/75>, abgerufen am 25.11.2024.