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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler,
blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein
Vermögen hätte, und daß er sich betrügen würde, wenn
er welches vermuthete. Freilich hätte sie ihm deutlicher
ihre wahren Umstände entdecken sollen, allein dazu
glaubte sie noch immer Zeit zu haben, indem sie nicht
dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm
also ihr mütterliches Jawort und rief ihre Tochter
herein, welche in der Küche hinter der Thür fast jedes
Wort gehört hatte, was unter beiden vorgefallen
war. Der junge Mann wurde ihr als Bräutigam
angekündiget, und weil er schön und wohl gewachsen
war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde,
so gab sie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich.
Die Verlobung wurde bald veranstaltet, und der Name
Braut war ihr so angenehm, als neu zu hören. Der
Bräutigam reisete wieder nach Schwiebus zurück, in-
dessen hier unter der bräutlichen Einrichtung die we-
nigen Zwischenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald
verflossen, ohne daß die beiden Verlobten einander
besser kennen lernten; denn an diesem Orte werden
die Töchter mehrentheils zur Ehe wie die Lämmer zur
Schlachtbank geführt; und es ist einmal Sitte, sie ih-
rem fernern Schicksale zu überlassen, wenn sie nur mit
einem Manne getrauet sind. Ob ihre Gesinnungen für
einander gestimmt sind, das wird gar nicht gefragt,

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Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler,
blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein
Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn
er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher
ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu
glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht
dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm
alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter
herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes
Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen
war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam
angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen
war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde,
ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich.
Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name
Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der
Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in-
deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we-
nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald
verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander
beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden
die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur
Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih-
rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit
einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr
einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt,

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[39/0071] Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler, blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde, ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich. Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in- deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we- nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih- rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt, c 4

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/71>, abgerufen am 25.11.2024.