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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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tausend Thaler Vatergut zu hoffen hätte, und wie ihm
dieses ein großes Kapital schien, so beschloß er, sie zu
heirathen, so bald sie herangewachsen seyn würde. Al-
lein die Umstände von des Mädchens Mutter waren
durch die schlechte Nahrung an diesem neuen Wohn-
orte, und durch den Müßiggang des brutalen Hempels
so verfallen, daß dies Vatergut längst dabei hatte zu-
gesetzt werden müssen. Es blieb aber vor den Leuten
verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand
klagte, und ihre Art zu wirthschaften nach wie vor
ordentlich trieb. Der Hirsekorn konnte also nichts
weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet
ihm das Mädchen halb zuwider war, freyete er doch
um sie aus Gewinnsucht. Die Mutter, welche keine
Heuchelei vermuthete und ihr Kind sehr glücklich dach-
te, weil ein so bekannter guter Wirth und fleißiger
Arbeiter sie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden
in sein Gesuch, und fügte nur die Vorstellung hinzu:
daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe sich versprechen
müßte, sie bekäme eine Ausstattung und weiter nichts.
Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte
ihn mit solchen Reden nur auf die Probe stellen, ver-
sicherte ihr schmeichelhaft und feierlich: daß er nichts
anders suchte, als ein ehrliches und folgsames Mäd-
chen, und daß er dieselbe nur deshalb begehre, weil sie
eine so würdige Mutter hätte. Die Mutter, in deren

tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm
dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu
heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al-
lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren
durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn-
orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels
ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu-
geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten
verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand
klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor
ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts
weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet
ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch
um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine
Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach-
te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger
Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden
in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu:
daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen
muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts.
Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte
ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver-
ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts
anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd-
chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie
eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren

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[38/0070] tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al- lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn- orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu- geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach- te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu: daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts. Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver- ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd- chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/70>, abgerufen am 24.11.2024.