Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

sogar die gute Mutter der Dichterin mit spitzen und
anzüglichen Reden wider ihre Tochter. Diese würdige
Frau, welche sich schon durch einen Schatten von Ta-
del an ihrer Ehre gekränkt fühlte, und welche auf einen
guten Ruf mehr hielt als auf alles Glück in der Welt:
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unsegens,
jeden Umgang mit diesem jungen Menschen; und um
dieselbe vor allen Unfällen, welche jungen feurigen Dir-
nen begegnen können, zu sichern, beschloß sie, sobald
als möglich ihr selbst einen Mann zu wählen. Ob das
Mädchen dabei glücklich oder nicht seyn würde, konnte
sie nicht berechnen, weil sie den Grundsatz ihrer Vor-
mütter hatte, daß ein Mädchen glücklich genug sey,
wenn sie bald einen Mann bekäme, der ihr Schutz und
Brod gäbe. Sie selbst war in ihren beiden Ehen nicht
nach den Wünschen ihres Herzens verheirathet, aber
sie war doch eine rechtschaffne Frau: dieser Name be-
friedigte zugleich ihre übrigen Wünsche.

Unter den verschiedenen Freyern, welche sich um
ihre Tochter bewarben, meldete sich auch ein junger
Tuchweber und Tuchhändler aus Schwiebus, Namens
Hirsekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreise für
den besten Wirth, aber auch für einen heftigen und
zornigen Menschen bekannt war. Der Eigennutz war
seine erste Hauptleidenschaft; er hatte, ehe er in die
Fremde ging, vernommen, daß die junge Dürbach

c 3

ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und
anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige
Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta-
del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen
guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt:
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens,
jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um
dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir-
nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald
als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das
Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte
ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor-
muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey,
wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und
Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht
nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber
ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be-
friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.

Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um
ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger
Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens
Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr
den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und
zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war
ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die
Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach

c 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="37"/>
&#x017F;ogar die gute Mutter der Dichterin mit &#x017F;pitzen und<lb/>
anzu&#x0364;glichen Reden wider ihre Tochter. Die&#x017F;e wu&#x0364;rdige<lb/>
Frau, welche &#x017F;ich &#x017F;chon durch einen Schatten von Ta-<lb/>
del an ihrer Ehre gekra&#x0364;nkt fu&#x0364;hlte, und welche auf einen<lb/>
guten Ruf mehr hielt als auf alles Glu&#x0364;ck in der Welt:<lb/>
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Un&#x017F;egens,<lb/>
jeden Umgang mit die&#x017F;em jungen Men&#x017F;chen; und um<lb/>
die&#x017F;elbe vor allen Unfa&#x0364;llen, welche jungen feurigen Dir-<lb/>
nen begegnen ko&#x0364;nnen, zu &#x017F;ichern, be&#x017F;chloß &#x017F;ie, &#x017F;obald<lb/>
als mo&#x0364;glich ihr &#x017F;elb&#x017F;t einen Mann zu wa&#x0364;hlen. Ob das<lb/>
Ma&#x0364;dchen dabei glu&#x0364;cklich oder nicht &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, konnte<lb/>
&#x017F;ie nicht berechnen, weil &#x017F;ie den Grund&#x017F;atz ihrer Vor-<lb/>
mu&#x0364;tter hatte, daß ein Ma&#x0364;dchen glu&#x0364;cklich genug &#x017F;ey,<lb/>
wenn &#x017F;ie bald einen Mann beka&#x0364;me, der ihr Schutz und<lb/>
Brod ga&#x0364;be. Sie &#x017F;elb&#x017F;t war in ihren beiden Ehen nicht<lb/>
nach den Wu&#x0364;n&#x017F;chen ihres Herzens verheirathet, aber<lb/>
&#x017F;ie war doch eine recht&#x017F;chaffne Frau: die&#x017F;er Name be-<lb/>
friedigte zugleich ihre u&#x0364;brigen Wu&#x0364;n&#x017F;che.</p><lb/>
        <p>Unter den ver&#x017F;chiedenen Freyern, welche &#x017F;ich um<lb/>
ihre Tochter bewarben, meldete &#x017F;ich auch ein junger<lb/>
Tuchweber und Tuchha&#x0364;ndler aus Schwiebus, Namens<lb/><hi rendition="#fr">Hir&#x017F;ekorn</hi>, welcher zehn Meilen weit im Umkrei&#x017F;e fu&#x0364;r<lb/>
den be&#x017F;ten Wirth, aber auch fu&#x0364;r einen heftigen und<lb/>
zornigen Men&#x017F;chen bekannt war. Der Eigennutz war<lb/>
&#x017F;eine er&#x017F;te Hauptleiden&#x017F;chaft; er hatte, ehe er in die<lb/>
Fremde ging, vernommen, daß die junge Du&#x0364;rbach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">c 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0069] ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta- del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt: verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens, jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir- nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor- muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey, wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be- friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche. Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach c 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/69
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/69>, abgerufen am 22.11.2024.