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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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de der Dürbach aufgetragen, auf des Müllers etwanige
Zurückkunft Achtung zu geben, und Bericht davon
abzulegen. Die Langeweile, welche sie auf diesem Posten
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Diese Be-
suche und diese heimlichen Anstalten kamen ihr freilich
besonders vor, um so mehr, da bey ihrer liebenswür-
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil
aber ihre Phantasie gern einen Schwung machte, so
bildete sie sich aus diesen Zusammenkünften eine Rit-
tergeschichte, je nach den Mustern, wie sie dieselben in
den Büchern bei ihrer Heerde gelesen hatte. Der
Müller war häßlich; der Ritter hübsch und artig; die
Müllerin schön und jung: konnte sie nicht von dem
unansehnlichen Müller geraubt, oder durch List zu einer
Heirath mit ihm gezwungen seyn? Und konnte nun
der Rittmeister nicht der edle Ritter seyn, der sie wie-
der erlösen würde? So waren ihre Vorstellungen von
diesen beiden Personen, und ihre Einbildungskraft
fand eine angenehme Unterhaltung darin, sich diese
beiden Liebenden als zwei Unglückliche zu denken, welche
durch ein grausames Schicksal getrennt waren, und
bei solchen Zusammenkünften einander ihre Leiden
klagten. Sie ward von dieser Meinung so eingenom-
men, daß sie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-
siasmus entflammte, sie trat auf die Seite der beiden
vermeinten Unglücklichen, und -- ergriff ihre erste

de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige
Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon
abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be-
ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich
beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr-
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil
aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo
bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit-
tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in
den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der
Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die
Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem
unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer
Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun
der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie-
der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von
dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft
fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe
beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche
durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und
bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden
klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom-
men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-
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[31/0063] de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be- ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr- digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit- tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie- der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom- men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu- ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/63>, abgerufen am 24.11.2024.