de der Dürbach aufgetragen, auf des Müllers etwanige Zurückkunft Achtung zu geben, und Bericht davon abzulegen. Die Langeweile, welche sie auf diesem Posten hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Diese Be- suche und diese heimlichen Anstalten kamen ihr freilich besonders vor, um so mehr, da bey ihrer liebenswür- digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil aber ihre Phantasie gern einen Schwung machte, so bildete sie sich aus diesen Zusammenkünften eine Rit- tergeschichte, je nach den Mustern, wie sie dieselben in den Büchern bei ihrer Heerde gelesen hatte. Der Müller war häßlich; der Ritter hübsch und artig; die Müllerin schön und jung: konnte sie nicht von dem unansehnlichen Müller geraubt, oder durch List zu einer Heirath mit ihm gezwungen seyn? Und konnte nun der Rittmeister nicht der edle Ritter seyn, der sie wie- der erlösen würde? So waren ihre Vorstellungen von diesen beiden Personen, und ihre Einbildungskraft fand eine angenehme Unterhaltung darin, sich diese beiden Liebenden als zwei Unglückliche zu denken, welche durch ein grausames Schicksal getrennt waren, und bei solchen Zusammenkünften einander ihre Leiden klagten. Sie ward von dieser Meinung so eingenom- men, daß sie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu- siasmus entflammte, sie trat auf die Seite der beiden vermeinten Unglücklichen, und -- ergriff ihre erste
de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be- ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr- digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit- tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie- der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom- men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu- ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0063"n="31"/>
de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige<lb/>
Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon<lb/>
abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten<lb/>
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be-<lb/>ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich<lb/>
beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr-<lb/>
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil<lb/>
aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo<lb/>
bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit-<lb/>
tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in<lb/>
den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der<lb/>
Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die<lb/>
Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem<lb/>
unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer<lb/>
Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun<lb/>
der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie-<lb/>
der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von<lb/>
dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft<lb/>
fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe<lb/>
beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche<lb/>
durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und<lb/>
bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden<lb/>
klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom-<lb/>
men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-<lb/>ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden<lb/>
vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff <hirendition="#g">ihre erſte<lb/></hi></p></div></body></text></TEI>
[31/0063]
de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige
Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon
abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be-
ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich
beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr-
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil
aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo
bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit-
tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in
den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der
Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die
Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem
unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer
Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun
der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie-
der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von
dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft
fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe
beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche
durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und
bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden
klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom-
men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-
ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden
vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/63>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.