Milon, gestern war ich selig, Wie ein Sonnenbürger ist: Ach mein Auge hat unzählig Diese Stirne sanft geküßt, Die der Mahler kaum so göttlich Mahlen wird, als du sie hast. Mache mir doch künftig spöttlich Nicht die Tage mehr zur Last -- O was hab ich ausgestanden, Als Zemire ward gespielt, Und mich deine Blicke fanden, Und ich nicht den Trost erhielt, Daß du in der Nähe bliebest. Sage mir, warum du so Meiner Seele Kummer liebest? Sprich, warum dein Fuß entfloh, Daß ich deiner vollen Schläfe Feine Locken nicht mehr sah? Denke nur, wie mir geschah, Fast als ob ein Blitz mich träfe,
An Denſelben.
Milon, geſtern war ich ſelig, Wie ein Sonnenbuͤrger iſt: Ach mein Auge hat unzaͤhlig Dieſe Stirne ſanft gekuͤßt, Die der Mahler kaum ſo goͤttlich Mahlen wird, als du ſie haſt. Mache mir doch kuͤnftig ſpoͤttlich Nicht die Tage mehr zur Laſt — O was hab ich ausgeſtanden, Als Zemire ward geſpielt, Und mich deine Blicke fanden, Und ich nicht den Troſt erhielt, Daß du in der Naͤhe bliebeſt. Sage mir, warum du ſo Meiner Seele Kummer liebeſt? Sprich, warum dein Fuß entfloh, Daß ich deiner vollen Schlaͤfe Feine Locken nicht mehr ſah? Denke nur, wie mir geſchah, Faſt als ob ein Blitz mich traͤfe,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0450"n="290"/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">An Denſelben</hi>.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">M</hi>ilon, geſtern war ich ſelig,</l><lb/><l>Wie ein Sonnenbuͤrger iſt:</l><lb/><l>Ach mein Auge hat unzaͤhlig</l><lb/><l>Dieſe Stirne ſanft gekuͤßt,</l><lb/><l>Die der Mahler kaum ſo goͤttlich</l><lb/><l>Mahlen wird, als du ſie haſt.</l><lb/><l>Mache mir doch kuͤnftig ſpoͤttlich</l><lb/><l>Nicht die Tage mehr zur Laſt —</l><lb/><l>O was hab ich ausgeſtanden,</l><lb/><l>Als Zemire ward geſpielt,</l><lb/><l>Und mich deine Blicke fanden,</l><lb/><l>Und ich nicht den Troſt erhielt,</l><lb/><l>Daß du in der Naͤhe bliebeſt.</l><lb/><l>Sage mir, warum du ſo</l><lb/><l>Meiner Seele Kummer liebeſt?</l><lb/><l>Sprich, warum dein Fuß entfloh,</l><lb/><l>Daß ich deiner vollen Schlaͤfe</l><lb/><l>Feine Locken nicht mehr ſah?</l><lb/><l>Denke nur, wie mir geſchah,</l><lb/><l>Faſt als ob ein Blitz mich traͤfe,</l><lb/></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[290/0450]
An Denſelben.
Milon, geſtern war ich ſelig,
Wie ein Sonnenbuͤrger iſt:
Ach mein Auge hat unzaͤhlig
Dieſe Stirne ſanft gekuͤßt,
Die der Mahler kaum ſo goͤttlich
Mahlen wird, als du ſie haſt.
Mache mir doch kuͤnftig ſpoͤttlich
Nicht die Tage mehr zur Laſt —
O was hab ich ausgeſtanden,
Als Zemire ward geſpielt,
Und mich deine Blicke fanden,
Und ich nicht den Troſt erhielt,
Daß du in der Naͤhe bliebeſt.
Sage mir, warum du ſo
Meiner Seele Kummer liebeſt?
Sprich, warum dein Fuß entfloh,
Daß ich deiner vollen Schlaͤfe
Feine Locken nicht mehr ſah?
Denke nur, wie mir geſchah,
Faſt als ob ein Blitz mich traͤfe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/450>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.