Mit bunten Flecken, wie die Schlangen, Der Skorpion kroch an das Schilf Und sprach: dir Freundin sey geklaget mein Verlangen, Dort übern Strome will mein Bruder mich umfangen, Und schwimmen kann ich nicht; du aber kannst, ach hilf Mit deinen Rudern mir herüber! Die Kröte mit dem Schilde spricht: Gefälligkeit ist meine Pflicht, Und kein Geschäfte war mir lieber Als dies; mein Schild ist breit genug. Sie sprichts: er setzt sich auf und da sie nun getreulich Den giftigen Verräther trug, Schwamm eine Gans daher und schlug Mit beiden Flügeln auf, und schrie: das ist abscheulich! Jetzt flößt dir guten Schwimmerin Der, den du trägst, das Gift im Rücken. Verdammter! sprach hierauf die treue Trägerin, Mich panzert die Natur zu sehr vor deinen Tücken, Dein Gift floß schadlos in den Fluß; Sey du ihm nachgestürzt! Hier tauchte sie ihn nieder -- Der Skorpion hat noch viel Schwestern und viel Brüder. O daß nicht jeder Mensch nach dem Verräther Kuß, Den er gegeben hat, also ersaufen muß!
Mit bunten Flecken, wie die Schlangen, Der Skorpion kroch an das Schilf Und ſprach: dir Freundin ſey geklaget mein Verlangen, Dort uͤbern Strome will mein Bruder mich umfangen, Und ſchwimmen kann ich nicht; du aber kannſt, ach hilf Mit deinen Rudern mir heruͤber! Die Kroͤte mit dem Schilde ſpricht: Gefaͤlligkeit iſt meine Pflicht, Und kein Geſchaͤfte war mir lieber Als dies; mein Schild iſt breit genug. Sie ſprichts: er ſetzt ſich auf und da ſie nun getreulich Den giftigen Verraͤther trug, Schwamm eine Gans daher und ſchlug Mit beiden Fluͤgeln auf, und ſchrie: das iſt abſcheulich! Jetzt floͤßt dir guten Schwimmerin Der, den du traͤgſt, das Gift im Ruͤcken. Verdammter! ſprach hierauf die treue Traͤgerin, Mich panzert die Natur zu ſehr vor deinen Tuͤcken, Dein Gift floß ſchadlos in den Fluß; Sey du ihm nachgeſtuͤrzt! Hier tauchte ſie ihn nieder — Der Skorpion hat noch viel Schweſtern und viel Bruͤder. O daß nicht jeder Menſch nach dem Verraͤther Kuß, Den er gegeben hat, alſo erſaufen muß!
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Mit bunten Flecken, wie die Schlangen,
Der Skorpion kroch an das Schilf
Und ſprach: dir Freundin ſey geklaget mein Verlangen,
Dort uͤbern Strome will mein Bruder mich umfangen,
Und ſchwimmen kann ich nicht; du aber kannſt, ach hilf
Mit deinen Rudern mir heruͤber!
Die Kroͤte mit dem Schilde ſpricht:
Gefaͤlligkeit iſt meine Pflicht,
Und kein Geſchaͤfte war mir lieber
Als dies; mein Schild iſt breit genug.
Sie ſprichts: er ſetzt ſich auf und da ſie nun getreulich
Den giftigen Verraͤther trug,
Schwamm eine Gans daher und ſchlug
Mit beiden Fluͤgeln auf, und ſchrie: das iſt abſcheulich!
Jetzt floͤßt dir guten Schwimmerin
Der, den du traͤgſt, das Gift im Ruͤcken.
Verdammter! ſprach hierauf die treue Traͤgerin,
Mich panzert die Natur zu ſehr vor deinen Tuͤcken,
Dein Gift floß ſchadlos in den Fluß;
Sey du ihm nachgeſtuͤrzt! Hier tauchte ſie ihn nieder —
Der Skorpion hat noch viel Schweſtern und viel
Bruͤder.
O daß nicht jeder Menſch nach dem Verraͤther Kuß,
Den er gegeben hat, alſo erſaufen muß!
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/434>, abgerufen am 16.02.2025.
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