Das beraubte Volk von hinnen, Und es konnte durch die Flucht Lebensrettung kaum gewinnen Für den Grimm der Räubersucht.
"Gott, du bist die Liebe selber, Rief der Klagesänger aus "Goß dies Volk sich goldne Kälber? "Lief es in ein Götzenhaus? "Trat es dein Gesetz mit Füßen? "Baute sichs Altäre dort, "Ein Trankopfer auszugießen? "Sprachs zu Holz und Stein: Du Hort "Meines Heils! Hilf mir, und neige "Doch dein Ohr zu meinem Flehn!" "Gott, warst du des Frevels Zeuge? "Hat dein Auge dies gesehn? "Und hast du im Zorn befohlen, "Daß wie ein geschenchtes Reh, "Ohne Athemholen "Dieses Volk mit Ach und Weh "Fliehen soll an der Welt Ende? -- "Gott, Erbarmer! siehe drein; "Mache, daß der Zorn sich wende! "Laß wie vormals mächtig seyn "Deine Liebe, dein Erbarmen!
Das beraubte Volk von hinnen, Und es konnte durch die Flucht Lebensrettung kaum gewinnen Fuͤr den Grimm der Raͤuberſucht.
„Gott, du biſt die Liebe ſelber, Rief der Klageſaͤnger aus „Goß dies Volk ſich goldne Kaͤlber? „Lief es in ein Goͤtzenhaus? „Trat es dein Geſetz mit Fuͤßen? „Baute ſichs Altaͤre dort, „Ein Trankopfer auszugießen? „Sprachs zu Holz und Stein: Du Hort „Meines Heils! Hilf mir, und neige „Doch dein Ohr zu meinem Flehn!„ „Gott, warſt du des Frevels Zeuge? „Hat dein Auge dies geſehn? „Und haſt du im Zorn befohlen, „Daß wie ein geſchenchtes Reh, „Ohne Athemholen „Dieſes Volk mit Ach und Weh „Fliehen ſoll an der Welt Ende? — „Gott, Erbarmer! ſiehe drein; „Mache, daß der Zorn ſich wende! „Laß wie vormals maͤchtig ſeyn „Deine Liebe, dein Erbarmen!
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Das beraubte Volk von hinnen,
Und es konnte durch die Flucht
Lebensrettung kaum gewinnen
Fuͤr den Grimm der Raͤuberſucht.
„Gott, du biſt die Liebe ſelber,
Rief der Klageſaͤnger aus
„Goß dies Volk ſich goldne Kaͤlber?
„Lief es in ein Goͤtzenhaus?
„Trat es dein Geſetz mit Fuͤßen?
„Baute ſichs Altaͤre dort,
„Ein Trankopfer auszugießen?
„Sprachs zu Holz und Stein: Du Hort
„Meines Heils! Hilf mir, und neige
„Doch dein Ohr zu meinem Flehn!„
„Gott, warſt du des Frevels Zeuge?
„Hat dein Auge dies geſehn?
„Und haſt du im Zorn befohlen,
„Daß wie ein geſchenchtes Reh,
„Ohne Athemholen
„Dieſes Volk mit Ach und Weh
„Fliehen ſoll an der Welt Ende? —
„Gott, Erbarmer! ſiehe drein;
„Mache, daß der Zorn ſich wende!
„Laß wie vormals maͤchtig ſeyn
„Deine Liebe, dein Erbarmen!
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/390>, abgerufen am 23.11.2024.
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