Wär nicht mein Geist von seltner Stärke, Er wäre längst hinweggedrängt, Denn schwach sind nur die Außenwerke, Sie werden wahrlich keinen Schmaus Für irgend einen Grabwurm geben, Man trägt nur Haut und Bein ins finstre Leichenhaus. Ich denk es ohne grauses Beben. Warum sollt ich betrübt ein Achgeschrey erheben Beim Anblick meines Bleichgesichts?
Kalt ist das Grab, davon empfindet nichts Das Wesen, welches in mir denket, Sein Feuer widersprichts -- Und daß sich's dermaleinst an Lethens Ufer tränket; Dieß glaube wer da mag und kann, Ich nehme diesen Wahn nicht an, Weil ich durchaus nicht will vergessen, Was mir hienieden Guts geschehn; Weil ich auch dort noch will ermessen, Welch Auge mich hier gern gesehn, Und welche Hand mirs leichter machte Zu wallen auf dem Lebenspfad, Wo oft mein Fuß auf Dornen trat -- Selbst da der beste König dachte, Daß meine Laufbahn bis ans Ziel, Nun Rosen ohne Dornen brachte,
Waͤr nicht mein Geiſt von ſeltner Staͤrke, Er waͤre laͤngſt hinweggedraͤngt, Denn ſchwach ſind nur die Außenwerke, Sie werden wahrlich keinen Schmaus Fuͤr irgend einen Grabwurm geben, Man traͤgt nur Haut und Bein ins finſtre Leichenhaus. Ich denk es ohne grauſes Beben. Warum ſollt ich betruͤbt ein Achgeſchrey erheben Beim Anblick meines Bleichgeſichts?
Kalt iſt das Grab, davon empfindet nichts Das Weſen, welches in mir denket, Sein Feuer widerſprichts — Und daß ſich’s dermaleinſt an Lethens Ufer traͤnket; Dieß glaube wer da mag und kann, Ich nehme dieſen Wahn nicht an, Weil ich durchaus nicht will vergeſſen, Was mir hienieden Guts geſchehn; Weil ich auch dort noch will ermeſſen, Welch Auge mich hier gern geſehn, Und welche Hand mirs leichter machte Zu wallen auf dem Lebenspfad, Wo oft mein Fuß auf Dornen trat — Selbſt da der beſte Koͤnig dachte, Daß meine Laufbahn bis ans Ziel, Nun Roſen ohne Dornen brachte,
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Waͤr nicht mein Geiſt von ſeltner Staͤrke,
Er waͤre laͤngſt hinweggedraͤngt,
Denn ſchwach ſind nur die Außenwerke,
Sie werden wahrlich keinen Schmaus
Fuͤr irgend einen Grabwurm geben,
Man traͤgt nur Haut und Bein ins finſtre Leichenhaus.
Ich denk es ohne grauſes Beben.
Warum ſollt ich betruͤbt ein Achgeſchrey erheben
Beim Anblick meines Bleichgeſichts?
Kalt iſt das Grab, davon empfindet nichts
Das Weſen, welches in mir denket,
Sein Feuer widerſprichts —
Und daß ſich’s dermaleinſt an Lethens Ufer traͤnket;
Dieß glaube wer da mag und kann,
Ich nehme dieſen Wahn nicht an,
Weil ich durchaus nicht will vergeſſen,
Was mir hienieden Guts geſchehn;
Weil ich auch dort noch will ermeſſen,
Welch Auge mich hier gern geſehn,
Und welche Hand mirs leichter machte
Zu wallen auf dem Lebenspfad,
Wo oft mein Fuß auf Dornen trat —
Selbſt da der beſte Koͤnig dachte,
Daß meine Laufbahn bis ans Ziel,
Nun Roſen ohne Dornen brachte,
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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