Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. ches wir Gegenstände, oder Vorstellungsarten, von ein-ander unterscheiden. Auch sind die jedem angemessene Ausdrücke, womit man die Complacenz in denselben be- zeichnet, nicht einerley. Angenehm heißt Jemanden das, was ihn vergnügt, schön was ihm blos ge- fällt, gut was geschätzt d. i. worin von ihm ein objectiver Werth gesetzt wird. Annehmlichkeit gilt auch für vernunftlose Thiere, Schönheit nur für Menschen d. i. thierische, aber doch vernünftige Wesen, das Gute aber für jedes vernünftige Wesen überhaupt. Ein Satz, der nur in der Folge seine vollständige Rechtfertigung und Erklärung bekommen kann. Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein unin- teressirtes und freyes Wohlgefallen sey; denn ein Jn- teresse, sowohl das der Sinne, als das der Vernunst, zwingt den Beyfall ab. Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: es beziehe sich in den drey genann- ten Fällen auf Neigung, oder Gunst, oder Ach- tung. Denn Gunst ist das einzige freye Wohlge- fallen. Ein Gegenstand der Neigung und der, so durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freyheit, uns selbst irgend woraus ei- nen Gegenstand der Lust zu machen. Alles Jnteresse setzt Bedürfnis voraus, oder bringt eines hervor und, als Bestimmungsgrund des Beyfalls, läßt es das Ur- theil über den Gegenstand nicht mehr frey seyn. I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. ches wir Gegenſtaͤnde, oder Vorſtellungsarten, von ein-ander unterſcheiden. Auch ſind die jedem angemeſſene Ausdruͤcke, womit man die Complacenz in denſelben be- zeichnet, nicht einerley. Angenehm heißt Jemanden das, was ihn vergnuͤgt, ſchoͤn was ihm blos ge- faͤllt, gut was geſchaͤtzt d. i. worin von ihm ein objectiver Werth geſetzt wird. Annehmlichkeit gilt auch fuͤr vernunftloſe Thiere, Schoͤnheit nur fuͤr Menſchen d. i. thieriſche, aber doch vernuͤnftige Weſen, das Gute aber fuͤr jedes vernuͤnftige Weſen uͤberhaupt. Ein Satz, der nur in der Folge ſeine vollſtaͤndige Rechtfertigung und Erklaͤrung bekommen kann. Man kann ſagen: daß unter allen dieſen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geſchmacks am Schoͤnen einzig und allein ein unin- tereſſirtes und freyes Wohlgefallen ſey; denn ein Jn- tereſſe, ſowohl das der Sinne, als das der Vernunſt, zwingt den Beyfall ab. Daher koͤnnte man von dem Wohlgefallen ſagen: es beziehe ſich in den drey genann- ten Faͤllen auf Neigung, oder Gunſt, oder Ach- tung. Denn Gunſt iſt das einzige freye Wohlge- fallen. Ein Gegenſtand der Neigung und der, ſo durch ein Vernunftgeſetz uns zum Begehren auferlegt wird, laſſen uns keine Freyheit, uns ſelbſt irgend woraus ei- nen Gegenſtand der Luſt zu machen. Alles Jntereſſe ſetzt Beduͤrfnis voraus, oder bringt eines hervor und, als Beſtimmungsgrund des Beyfalls, laͤßt es das Ur- theil uͤber den Gegenſtand nicht mehr frey ſeyn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0079" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> ches wir Gegenſtaͤnde, oder Vorſtellungsarten, von ein-<lb/> ander unterſcheiden. Auch ſind die jedem angemeſſene<lb/> Ausdruͤcke, womit man die Complacenz in denſelben be-<lb/> zeichnet, nicht einerley. <hi rendition="#fr">Angenehm</hi> heißt Jemanden<lb/> das, was ihn <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">vergnuͤgt</hi>, ſchoͤn</hi> was ihm blos <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">ge-<lb/> faͤllt</hi>, gut</hi> was <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">geſchaͤtzt</hi></hi> d. i. worin von ihm ein<lb/> objectiver Werth geſetzt wird. 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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ches wir Gegenſtaͤnde, oder Vorſtellungsarten, von ein-
ander unterſcheiden. Auch ſind die jedem angemeſſene
Ausdruͤcke, womit man die Complacenz in denſelben be-
zeichnet, nicht einerley. Angenehm heißt Jemanden
das, was ihn vergnuͤgt, ſchoͤn was ihm blos ge-
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objectiver Werth geſetzt wird. Annehmlichkeit gilt auch
fuͤr vernunftloſe Thiere, Schoͤnheit nur fuͤr Menſchen
d. i. thieriſche, aber doch vernuͤnftige Weſen, das Gute
aber fuͤr jedes vernuͤnftige Weſen uͤberhaupt. Ein Satz,
der nur in der Folge ſeine vollſtaͤndige Rechtfertigung
und Erklaͤrung bekommen kann. Man kann ſagen: daß
unter allen dieſen drey Arten des Wohlgefallens, das
des Geſchmacks am Schoͤnen einzig und allein ein unin-
tereſſirtes und freyes Wohlgefallen ſey; denn ein Jn-
tereſſe, ſowohl das der Sinne, als das der Vernunſt,
zwingt den Beyfall ab. Daher koͤnnte man von dem
Wohlgefallen ſagen: es beziehe ſich in den drey genann-
ten Faͤllen auf Neigung, oder Gunſt, oder Ach-
tung. Denn Gunſt iſt das einzige freye Wohlge-
fallen. Ein Gegenſtand der Neigung und der, ſo durch
ein Vernunftgeſetz uns zum Begehren auferlegt wird,
laſſen uns keine Freyheit, uns ſelbſt irgend woraus ei-
nen Gegenſtand der Luſt zu machen. Alles Jntereſſe
ſetzt Beduͤrfnis voraus, oder bringt eines hervor und,
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