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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
vor mir sehe, schön finde, so mag ich zwar sagen: ich
liebe dergleichen Dinge nicht, die blos fürs Angaffen ge-
macht sind, oder, wie jener Jrokesische Sachem, ihm
gefallen in Paris nichts besser als die Garküchen; ich
kann noch überdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut
Rousseauisch schmälen, welche den Schweis des Volks
auf so entbehrliche Dinge verwenden, ich kann mich end-
lich gar leicht überzeugen, daß, wenn ich mich auf einem
unbewohnten Eylande, ohne Hofnung jemals wieder zu
Menschen zu kommen, befände, und ich durch meinen
bloßen Wunsch ein solches Prachtgebäude hinzaubern
könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum ge-
ben würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir be-
quem genug ist. Man kann mir alles dieses einräumen
und gutheißen, nur davon ist jetzt nicht die Rede. Man
will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstan-
des in mir mit Wohlgefallen begleitet sey, so gleichgültig
ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstan-
des dieser Vorstellung seyn mag. Man sieht leicht, daß
es auf dem, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst
mache, nicht auf dem, worin ich von der Existenz des
Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sey
schön und zu beweisen, ich habe Geschmack. Ein jeder
muß eingestehen, daß dasjenige Urtheil über Schönheit,
worin sich das mindeste Jnteresse mengt, sehr partheylich
und kein reines Geschmacksurtheil sey. Man muß nicht
im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen,

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
vor mir ſehe, ſchoͤn finde, ſo mag ich zwar ſagen: ich
liebe dergleichen Dinge nicht, die blos fuͤrs Angaffen ge-
macht ſind, oder, wie jener Jrokeſiſche Sachem, ihm
gefallen in Paris nichts beſſer als die Garkuͤchen; ich
kann noch uͤberdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut
Rouſſeauiſch ſchmaͤlen, welche den Schweis des Volks
auf ſo entbehrliche Dinge verwenden, ich kann mich end-
lich gar leicht uͤberzeugen, daß, wenn ich mich auf einem
unbewohnten Eylande, ohne Hofnung jemals wieder zu
Menſchen zu kommen, befaͤnde, und ich durch meinen
bloßen Wunſch ein ſolches Prachtgebaͤude hinzaubern
koͤnnte, ich mir auch nicht einmal dieſe Muͤhe darum ge-
ben wuͤrde, wenn ich ſchon eine Huͤtte haͤtte, die mir be-
quem genug iſt. Man kann mir alles dieſes einraͤumen
und gutheißen, nur davon iſt jetzt nicht die Rede. Man
will nur wiſſen, ob die bloße Vorſtellung des Gegenſtan-
des in mir mit Wohlgefallen begleitet ſey, ſo gleichguͤltig
ich auch immer in Anſehung der Exiſtenz des Gegenſtan-
des dieſer Vorſtellung ſeyn mag. Man ſieht leicht, daß
es auf dem, was ich aus dieſer Vorſtellung in mir ſelbſt
mache, nicht auf dem, worin ich von der Exiſtenz des
Gegenſtandes abhaͤnge, ankomme, um zu ſagen, er ſey
ſchoͤn und zu beweiſen, ich habe Geſchmack. Ein jeder
muß eingeſtehen, daß dasjenige Urtheil uͤber Schoͤnheit,
worin ſich das mindeſte Jntereſſe mengt, ſehr partheylich
und kein reines Geſchmacksurtheil ſey. Man muß nicht
im mindeſten fuͤr die Exiſtenz der Sache eingenommen,

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[6/0070] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. vor mir ſehe, ſchoͤn finde, ſo mag ich zwar ſagen: ich liebe dergleichen Dinge nicht, die blos fuͤrs Angaffen ge- macht ſind, oder, wie jener Jrokeſiſche Sachem, ihm gefallen in Paris nichts beſſer als die Garkuͤchen; ich kann noch uͤberdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut Rouſſeauiſch ſchmaͤlen, welche den Schweis des Volks auf ſo entbehrliche Dinge verwenden, ich kann mich end- lich gar leicht uͤberzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eylande, ohne Hofnung jemals wieder zu Menſchen zu kommen, befaͤnde, und ich durch meinen bloßen Wunſch ein ſolches Prachtgebaͤude hinzaubern koͤnnte, ich mir auch nicht einmal dieſe Muͤhe darum ge- ben wuͤrde, wenn ich ſchon eine Huͤtte haͤtte, die mir be- quem genug iſt. Man kann mir alles dieſes einraͤumen und gutheißen, nur davon iſt jetzt nicht die Rede. Man will nur wiſſen, ob die bloße Vorſtellung des Gegenſtan- des in mir mit Wohlgefallen begleitet ſey, ſo gleichguͤltig ich auch immer in Anſehung der Exiſtenz des Gegenſtan- des dieſer Vorſtellung ſeyn mag. Man ſieht leicht, daß es auf dem, was ich aus dieſer Vorſtellung in mir ſelbſt mache, nicht auf dem, worin ich von der Exiſtenz des Gegenſtandes abhaͤnge, ankomme, um zu ſagen, er ſey ſchoͤn und zu beweiſen, ich habe Geſchmack. Ein jeder muß eingeſtehen, daß dasjenige Urtheil uͤber Schoͤnheit, worin ſich das mindeſte Jntereſſe mengt, ſehr partheylich und kein reines Geſchmacksurtheil ſey. Man muß nicht im mindeſten fuͤr die Exiſtenz der Sache eingenommen,

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/70>, abgerufen am 29.11.2024.