Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. §. 85. Von der Physicotheologie. Die Physicotheologie ist der Versuch der gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in
Ansehung des Menschen, mit einem Vorzuge vor anderen Geschöpfen, weit gefehlt, daß sie ein Endzweck der Schöpfung seyn sollte. Menschen mögen sie sich immer zu ihrem letzten subjectiven Zwecke machen, wenn ich aber nach dem Endzwecke der Schöpfung frage: Wozu haben Menschen existiren müssen? so ist von einem objectiven obersten Zwecke die Rede, wie ihn die höchste Vernunft zu ihrer Schöpfung erfordern würde. Antwortet man nun darauf: damit Wesen existiren, denen jene oberste Ursache wohlthun könne, so widerspricht man der Bedingung, der die Vernunft des Menschen selbst seinen innigsten Wunsch der Glückseeligkeit unterwirft (nämlich die Uebereinstim- mung mit seiner eigenen inneren moralischen Gesetzge- bung). Dies beweiset: daß die Glückseeligkeit nur be- dingter Zweck, der Mensch also, nur als moralisches We- sen, Endzweck der Schöpfung seyn könne; was aber sei- nen Zustand betrift, Glückseeligkeit nur als Folge, nach Maasgabe der Uebereinstimmung mit jenem Zwecke, als dem Zwecke seines Daseyns, in Verbindung stehe. II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. §. 85. Von der Phyſicotheologie. Die Phyſicotheologie iſt der Verſuch der gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in
Anſehung des Menſchen, mit einem Vorzuge vor anderen Geſchoͤpfen, weit gefehlt, daß ſie ein Endzweck der Schoͤpfung ſeyn ſollte. Menſchen moͤgen ſie ſich immer zu ihrem letzten ſubjectiven Zwecke machen, wenn ich aber nach dem Endzwecke der Schoͤpfung frage: Wozu haben Menſchen exiſtiren muͤſſen? ſo iſt von einem objectiven oberſten Zwecke die Rede, wie ihn die hoͤchſte Vernunft zu ihrer Schoͤpfung erfordern wuͤrde. Antwortet man nun darauf: damit Weſen exiſtiren, denen jene oberſte Urſache wohlthun koͤnne, ſo widerſpricht man der Bedingung, der die Vernunft des Menſchen ſelbſt ſeinen innigſten Wunſch der Gluͤckſeeligkeit unterwirft (naͤmlich die Uebereinſtim- mung mit ſeiner eigenen inneren moraliſchen Geſetzge- bung). Dies beweiſet: daß die Gluͤckſeeligkeit nur be- dingter Zweck, der Menſch alſo, nur als moraliſches We- ſen, Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne; was aber ſei- nen Zuſtand betrift, Gluͤckſeeligkeit nur als Folge, nach Maasgabe der Uebereinſtimmung mit jenem Zwecke, als dem Zwecke ſeines Daſeyns, in Verbindung ſtehe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0459" n="395"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">§. 85.<lb/> Von der Phyſicotheologie.</hi> </head><lb/> <p>Die <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Phyſicotheologie</hi></hi> iſt der Verſuch der<lb/> Vernunft aus den <hi rendition="#fr">Zwecken</hi> der Natur, (die nur<lb/> empiriſch erkannt werden koͤnnen) auf die oberſte Urſache<lb/> der Natur und ihre Eigenſchaften zu ſchließen. Eine<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Moraltheologie</hi></hi> (Ethicotheologie) waͤre der<lb/> Verſuch aus dem moraliſchen Zwecke vernuͤnftiger We-<lb/> ſen in der Natur, (der <hi rendition="#aq">a priori</hi> erkannt werden kann)<lb/> auf jene Urſache und ihre Eigenſchaften zu ſchließen.</p><lb/> <p> <note xml:id="fn459" prev="#fn458" place="foot" n="*)">gezeigt worden, nicht einmal ein <hi rendition="#fr">Zweck der Natur</hi> in<lb/> Anſehung des Menſchen, mit einem Vorzuge vor anderen<lb/> Geſchoͤpfen, weit gefehlt, daß ſie ein <hi rendition="#fr">Endzweck der<lb/> Schoͤpfung</hi> ſeyn ſollte. Menſchen moͤgen ſie ſich immer<lb/> zu ihrem letzten ſubjectiven Zwecke machen, wenn ich aber<lb/> nach dem Endzwecke der Schoͤpfung frage: Wozu haben<lb/> Menſchen exiſtiren muͤſſen? ſo iſt von einem objectiven<lb/> oberſten Zwecke die Rede, wie ihn die hoͤchſte Vernunft<lb/> zu ihrer Schoͤpfung erfordern wuͤrde. Antwortet man nun<lb/> darauf: damit Weſen exiſtiren, denen jene oberſte Urſache<lb/> wohlthun koͤnne, ſo widerſpricht man der Bedingung, der<lb/> die Vernunft des Menſchen ſelbſt ſeinen innigſten Wunſch<lb/> der Gluͤckſeeligkeit unterwirft (naͤmlich die Uebereinſtim-<lb/> mung mit ſeiner eigenen inneren moraliſchen Geſetzge-<lb/> bung). Dies beweiſet: daß die Gluͤckſeeligkeit nur be-<lb/> dingter Zweck, der Menſch alſo, nur als moraliſches We-<lb/> ſen, Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne; was aber ſei-<lb/> nen Zuſtand betrift, Gluͤckſeeligkeit nur als Folge, nach<lb/> Maasgabe der Uebereinſtimmung mit jenem Zwecke, als<lb/> dem Zwecke ſeines Daſeyns, in Verbindung ſtehe.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [395/0459]
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
§. 85.
Von der Phyſicotheologie.
Die Phyſicotheologie iſt der Verſuch der
Vernunft aus den Zwecken der Natur, (die nur
empiriſch erkannt werden koͤnnen) auf die oberſte Urſache
der Natur und ihre Eigenſchaften zu ſchließen. Eine
Moraltheologie (Ethicotheologie) waͤre der
Verſuch aus dem moraliſchen Zwecke vernuͤnftiger We-
ſen in der Natur, (der a priori erkannt werden kann)
auf jene Urſache und ihre Eigenſchaften zu ſchließen.
*)
*) gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in
Anſehung des Menſchen, mit einem Vorzuge vor anderen
Geſchoͤpfen, weit gefehlt, daß ſie ein Endzweck der
Schoͤpfung ſeyn ſollte. Menſchen moͤgen ſie ſich immer
zu ihrem letzten ſubjectiven Zwecke machen, wenn ich aber
nach dem Endzwecke der Schoͤpfung frage: Wozu haben
Menſchen exiſtiren muͤſſen? ſo iſt von einem objectiven
oberſten Zwecke die Rede, wie ihn die hoͤchſte Vernunft
zu ihrer Schoͤpfung erfordern wuͤrde. Antwortet man nun
darauf: damit Weſen exiſtiren, denen jene oberſte Urſache
wohlthun koͤnne, ſo widerſpricht man der Bedingung, der
die Vernunft des Menſchen ſelbſt ſeinen innigſten Wunſch
der Gluͤckſeeligkeit unterwirft (naͤmlich die Uebereinſtim-
mung mit ſeiner eigenen inneren moraliſchen Geſetzge-
bung). Dies beweiſet: daß die Gluͤckſeeligkeit nur be-
dingter Zweck, der Menſch alſo, nur als moraliſches We-
ſen, Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne; was aber ſei-
nen Zuſtand betrift, Gluͤckſeeligkeit nur als Folge, nach
Maasgabe der Uebereinſtimmung mit jenem Zwecke, als
dem Zwecke ſeines Daſeyns, in Verbindung ſtehe.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |