Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. machen, gewinnen der Tyranney des Sinnenhangessehr viel ab und bereiten dadurch den Menschen zu einer Herrschaft vor, in der die Vernunft allein Gewalt haben soll, indessen daß die Uebel, womit uns theils die Natur, theils die unvertragsame Selbstsucht der Menschen heim sucht, zugleich die Kräfte der Seele aufbieten, steigern und stählen, um jenen nicht unterzuliegen und uns so eine Tauglichkeit zu höheren Zwecken, die in uns ver- borgen liegt, fühlen lassen. *) §. 84. Von dem Endzwecke des Daseyns einer Welt d. i. der Schöpfung selbst. Endzweck ist derjenige Zweck, der keines andern Wenn für die Zweckmäßigkeit der Natur der bloße *) Was das Leben für uns für einen Werth habe, wenn dieser blos nach dem geschätzt wird, was man genießt (dem natürlichen Zwecke der Summe aller Neigungen, der Glückseeligkeit,) ist leicht zu entscheiden. Er sinkt unter Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denselben Bedingungen, aber auch nach einem neuen, selbst entworfe- nen (doch dem Naturlaufe gemäßen) Plane, der aber auch blos auf Genuß gestellt wäre, aufs neue antreten? Welchen Werth das Leben habe, nach dem, was es nach dem Zwecke, den die Natur mit uns hat, geführt, in sich enthält und in dem besteht, was man thut (nicht blos genießt), wo wir aber immer doch nur Mittel zu unbe- stimmten Endzwecke sind, ist oben gezeigt worden. Es B b 4
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. machen, gewinnen der Tyranney des Sinnenhangesſehr viel ab und bereiten dadurch den Menſchen zu einer Herrſchaft vor, in der die Vernunft allein Gewalt haben ſoll, indeſſen daß die Uebel, womit uns theils die Natur, theils die unvertragſame Selbſtſucht der Menſchen heim ſucht, zugleich die Kraͤfte der Seele aufbieten, ſteigern und ſtaͤhlen, um jenen nicht unterzuliegen und uns ſo eine Tauglichkeit zu hoͤheren Zwecken, die in uns ver- borgen liegt, fuͤhlen laſſen. *) §. 84. Von dem Endzwecke des Daſeyns einer Welt d. i. der Schoͤpfung ſelbſt. Endzweck iſt derjenige Zweck, der keines andern Wenn fuͤr die Zweckmaͤßigkeit der Natur der bloße *) Was das Leben fuͤr uns fuͤr einen Werth habe, wenn dieſer blos nach dem geſchaͤtzt wird, was man genießt (dem natuͤrlichen Zwecke der Summe aller Neigungen, der Gluͤckſeeligkeit,) iſt leicht zu entſcheiden. Er ſinkt unter Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denſelben Bedingungen, aber auch nach einem neuen, ſelbſt entworfe- nen (doch dem Naturlaufe gemaͤßen) Plane, der aber auch blos auf Genuß geſtellt waͤre, aufs neue antreten? Welchen Werth das Leben habe, nach dem, was es nach dem Zwecke, den die Natur mit uns hat, gefuͤhrt, in ſich enthaͤlt und in dem beſteht, was man thut (nicht blos genießt), wo wir aber immer doch nur Mittel zu unbe- ſtimmten Endzwecke ſind, iſt oben gezeigt worden. Es B b 4
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
machen, gewinnen der Tyranney des Sinnenhanges
ſehr viel ab und bereiten dadurch den Menſchen zu einer
Herrſchaft vor, in der die Vernunft allein Gewalt haben
ſoll, indeſſen daß die Uebel, womit uns theils die Natur,
theils die unvertragſame Selbſtſucht der Menſchen heim
ſucht, zugleich die Kraͤfte der Seele aufbieten, ſteigern
und ſtaͤhlen, um jenen nicht unterzuliegen und uns ſo
eine Tauglichkeit zu hoͤheren Zwecken, die in uns ver-
borgen liegt, fuͤhlen laſſen. *)
§. 84.
Von dem Endzwecke des Daſeyns einer
Welt d. i. der Schoͤpfung ſelbſt.
Endzweck iſt derjenige Zweck, der keines andern
als Bedingung ſeiner Moͤglichkeit bedarf.
Wenn fuͤr die Zweckmaͤßigkeit der Natur der bloße
Mechanism derſelben zum Erklaͤrungsgrunde angenom-
*) Was das Leben fuͤr uns fuͤr einen Werth habe, wenn
dieſer blos nach dem geſchaͤtzt wird, was man genießt
(dem natuͤrlichen Zwecke der Summe aller Neigungen, der
Gluͤckſeeligkeit,) iſt leicht zu entſcheiden. Er ſinkt unter
Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denſelben
Bedingungen, aber auch nach einem neuen, ſelbſt entworfe-
nen (doch dem Naturlaufe gemaͤßen) Plane, der aber
auch blos auf Genuß geſtellt waͤre, aufs neue antreten?
Welchen Werth das Leben habe, nach dem, was es nach
dem Zwecke, den die Natur mit uns hat, gefuͤhrt, in ſich
enthaͤlt und in dem beſteht, was man thut (nicht blos
genießt), wo wir aber immer doch nur Mittel zu unbe-
ſtimmten Endzwecke ſind, iſt oben gezeigt worden. Es
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