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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
selben (die in diesem Zustande mehrentheils bis zum
Affecte steigt) die Lebensorganen innigst zu bewegen: so
wie sie auch bey überfülleten Magen, wo diese Bewegung
um desto nöthiger ist im Nachtschlafe gemeiniglich mit
desto mehr Lebhaftigkeit spielt und daß, ohne diese inner-
lich bewegende Kraft und die ermüdende Unruhe, wo-
rüber wir die Träume anklagen (die doch in der That
vielleicht Heilmittel sind), der Schlaf, selbst im gesun-
den Zustande, wohl gar ein völliges Erlöschen des Lebens
seyn würde.

Auch Schönheit der Natur, d. i. ihre Zusammen-
stimmung mit dem freyen Spiele unserer Erkenntnis-
vermögen in der Auffassung und Beurtheilung ihrer Er-
scheinung, kann auf die Art als objective Zweckmäßig-
keit der Natur in ihrem Ganzen, als System, worinn
der Mensch ein Glied ist, betrachtet werden; wenn ein-
mal die teleologische Beurtheilung derselben durch die
Naturzwecke, welche uns die organisirte Wesen an die
Hand geben, zu der Jdee eines großen Systems der
Zwecke der Natur uns berechtigt haben. Wir können sie
als eine Gunst, *) die die Natur für uns gehabt hat,

*) Jn dem ästhetischen Theile wurde gesagt: wir sähen die
schöne Natur mit Gunst an,
indem wir an dieser ihrer
Form ein ganz freyes (uninteressirtes) Wohlgefallen haben;
denn in diesem bloßen Geschmacksurtheile wird gar nicht
darauf Rücksicht genommen, zu welchem Zwecke diese Na-
turschönheiten existiren: ob um uns eine Lust zu erwecken,

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ſelben (die in dieſem Zuſtande mehrentheils bis zum
Affecte ſteigt) die Lebensorganen innigſt zu bewegen: ſo
wie ſie auch bey uͤberfuͤlleten Magen, wo dieſe Bewegung
um deſto noͤthiger iſt im Nachtſchlafe gemeiniglich mit
deſto mehr Lebhaftigkeit ſpielt und daß, ohne dieſe inner-
lich bewegende Kraft und die ermuͤdende Unruhe, wo-
ruͤber wir die Traͤume anklagen (die doch in der That
vielleicht Heilmittel ſind), der Schlaf, ſelbſt im geſun-
den Zuſtande, wohl gar ein voͤlliges Erloͤſchen des Lebens
ſeyn wuͤrde.

Auch Schoͤnheit der Natur, d. i. ihre Zuſammen-
ſtimmung mit dem freyen Spiele unſerer Erkenntnis-
vermoͤgen in der Auffaſſung und Beurtheilung ihrer Er-
ſcheinung, kann auf die Art als objective Zweckmaͤßig-
keit der Natur in ihrem Ganzen, als Syſtem, worinn
der Menſch ein Glied iſt, betrachtet werden; wenn ein-
mal die teleologiſche Beurtheilung derſelben durch die
Naturzwecke, welche uns die organiſirte Weſen an die
Hand geben, zu der Jdee eines großen Syſtems der
Zwecke der Natur uns berechtigt haben. Wir koͤnnen ſie
als eine Gunſt, *) die die Natur fuͤr uns gehabt hat,

*) Jn dem aͤſthetiſchen Theile wurde geſagt: wir ſaͤhen die
ſchoͤne Natur mit Gunſt an,
indem wir an dieſer ihrer
Form ein ganz freyes (unintereſſirtes) Wohlgefallen haben;
denn in dieſem bloßen Geſchmacksurtheile wird gar nicht
darauf Ruͤckſicht genommen, zu welchem Zwecke dieſe Na-
turſchoͤnheiten exiſtiren: ob um uns eine Luſt zu erwecken,
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[299/0363] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ſelben (die in dieſem Zuſtande mehrentheils bis zum Affecte ſteigt) die Lebensorganen innigſt zu bewegen: ſo wie ſie auch bey uͤberfuͤlleten Magen, wo dieſe Bewegung um deſto noͤthiger iſt im Nachtſchlafe gemeiniglich mit deſto mehr Lebhaftigkeit ſpielt und daß, ohne dieſe inner- lich bewegende Kraft und die ermuͤdende Unruhe, wo- ruͤber wir die Traͤume anklagen (die doch in der That vielleicht Heilmittel ſind), der Schlaf, ſelbſt im geſun- den Zuſtande, wohl gar ein voͤlliges Erloͤſchen des Lebens ſeyn wuͤrde. Auch Schoͤnheit der Natur, d. i. ihre Zuſammen- ſtimmung mit dem freyen Spiele unſerer Erkenntnis- vermoͤgen in der Auffaſſung und Beurtheilung ihrer Er- ſcheinung, kann auf die Art als objective Zweckmaͤßig- keit der Natur in ihrem Ganzen, als Syſtem, worinn der Menſch ein Glied iſt, betrachtet werden; wenn ein- mal die teleologiſche Beurtheilung derſelben durch die Naturzwecke, welche uns die organiſirte Weſen an die Hand geben, zu der Jdee eines großen Syſtems der Zwecke der Natur uns berechtigt haben. Wir koͤnnen ſie als eine Gunſt, *) die die Natur fuͤr uns gehabt hat, *) Jn dem aͤſthetiſchen Theile wurde geſagt: wir ſaͤhen die ſchoͤne Natur mit Gunſt an, indem wir an dieſer ihrer Form ein ganz freyes (unintereſſirtes) Wohlgefallen haben; denn in dieſem bloßen Geſchmacksurtheile wird gar nicht darauf Ruͤckſicht genommen, zu welchem Zwecke dieſe Na- turſchoͤnheiten exiſtiren: ob um uns eine Luſt zu erwecken,

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/363>, abgerufen am 29.11.2024.