Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. ten. So könnte man z. B. sagen: das Ungeziefer, wel-ches die Menschen in ihren Kleidern, Haaren, oder Bettstellen plagt, sey nach einer weisen Naturanstalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die für sich schon ein wichtiges Mittel der Erhaltung der Gesundheit ist. Oder die Moskitomücken und andere stehende Jnsecten, welche die Wüsten von Amerika den Wilden so beschwerlich machen, sind so viel Stacheln der Thätigkeit für diese angehende Menschen, um die Moräste abzuleiten und die dichte, den Luftzug abhaltende Wälder licht zu machen und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens, ihren Auffenthalt zugleich gesunder zu machen. Selbst was dem Menschen in seiner innern Organisation widerna- türlich zu seyn scheint, wenn es auf diese Weise behan- delt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch be- lehrende Aussicht in eine teleologische Ordnung der Din- ge, auf die uns, ohne ein solches Princip, die blos phy- sische Betrachtung allein nicht führen würde. So wie einige den Bandwurm dem Menschen oder Thier, dem er beywohnt, gleichsam zum Ersatz eines gewissen Mangels seiner Lebensorganen beygegeben zu seyn urtheilen: so würde ich fragen, ob nicht die Träume (ohne die niemals der Schlaf ist, ob man sich gleich nur selten derselben er- innert) eine zweckmäßige Anordnung der Natur seyn mögen, indem sie nämlich bey dem Abspannen aller kör- perlichen bewegenden Kräfte, dazu dienen, vermittelst der Einbildungskraft und der großen Geschäftigkeit der- II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ten. So koͤnnte man z. B. ſagen: das Ungeziefer, wel-ches die Menſchen in ihren Kleidern, Haaren, oder Bettſtellen plagt, ſey nach einer weiſen Naturanſtalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die fuͤr ſich ſchon ein wichtiges Mittel der Erhaltung der Geſundheit iſt. Oder die Moskitomuͤcken und andere ſtehende Jnſecten, welche die Wuͤſten von Amerika den Wilden ſo beſchwerlich machen, ſind ſo viel Stacheln der Thaͤtigkeit fuͤr dieſe angehende Menſchen, um die Moraͤſte abzuleiten und die dichte, den Luftzug abhaltende Waͤlder licht zu machen und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens, ihren Auffenthalt zugleich geſunder zu machen. Selbſt was dem Menſchen in ſeiner innern Organiſation widerna- tuͤrlich zu ſeyn ſcheint, wenn es auf dieſe Weiſe behan- delt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch be- lehrende Ausſicht in eine teleologiſche Ordnung der Din- ge, auf die uns, ohne ein ſolches Princip, die blos phy- ſiſche Betrachtung allein nicht fuͤhren wuͤrde. So wie einige den Bandwurm dem Menſchen oder Thier, dem er beywohnt, gleichſam zum Erſatz eines gewiſſen Mangels ſeiner Lebensorganen beygegeben zu ſeyn urtheilen: ſo wuͤrde ich fragen, ob nicht die Traͤume (ohne die niemals der Schlaf iſt, ob man ſich gleich nur ſelten derſelben er- innert) eine zweckmaͤßige Anordnung der Natur ſeyn moͤgen, indem ſie naͤmlich bey dem Abſpannen aller koͤr- perlichen bewegenden Kraͤfte, dazu dienen, vermittelſt der Einbildungskraft und der großen Geſchaͤftigkeit der- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0362" n="298"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> ten. So koͤnnte man z. B. ſagen: das Ungeziefer, wel-<lb/> ches die Menſchen in ihren Kleidern, Haaren, oder<lb/> Bettſtellen plagt, ſey nach einer weiſen Naturanſtalt ein<lb/> Antrieb zur Reinlichkeit, die fuͤr ſich ſchon ein wichtiges<lb/> Mittel der Erhaltung der Geſundheit iſt. Oder die<lb/> Moskitomuͤcken und andere ſtehende Jnſecten, welche<lb/> die Wuͤſten von Amerika den Wilden ſo beſchwerlich<lb/> machen, ſind ſo viel Stacheln der Thaͤtigkeit fuͤr dieſe<lb/> angehende Menſchen, um die Moraͤſte abzuleiten und die<lb/> dichte, den Luftzug abhaltende Waͤlder licht zu machen<lb/> und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens,<lb/> ihren Auffenthalt zugleich geſunder zu machen. Selbſt was<lb/> dem Menſchen in ſeiner innern Organiſation widerna-<lb/> tuͤrlich zu ſeyn ſcheint, wenn es auf dieſe Weiſe behan-<lb/> delt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch be-<lb/> lehrende Ausſicht in eine teleologiſche Ordnung der Din-<lb/> ge, auf die uns, ohne ein ſolches Princip, die blos phy-<lb/> ſiſche Betrachtung allein nicht fuͤhren wuͤrde. So wie<lb/> einige den Bandwurm dem Menſchen oder Thier, dem er<lb/> beywohnt, gleichſam zum Erſatz eines gewiſſen Mangels<lb/> ſeiner Lebensorganen beygegeben zu ſeyn urtheilen: ſo<lb/> wuͤrde ich fragen, ob nicht die Traͤume (ohne die niemals<lb/> der Schlaf iſt, ob man ſich gleich nur ſelten derſelben er-<lb/> innert) eine zweckmaͤßige Anordnung der Natur ſeyn<lb/> moͤgen, indem ſie naͤmlich bey dem Abſpannen aller koͤr-<lb/> perlichen bewegenden Kraͤfte, dazu dienen, vermittelſt<lb/> der Einbildungskraft und der großen Geſchaͤftigkeit der-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0362]
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ten. So koͤnnte man z. B. ſagen: das Ungeziefer, wel-
ches die Menſchen in ihren Kleidern, Haaren, oder
Bettſtellen plagt, ſey nach einer weiſen Naturanſtalt ein
Antrieb zur Reinlichkeit, die fuͤr ſich ſchon ein wichtiges
Mittel der Erhaltung der Geſundheit iſt. Oder die
Moskitomuͤcken und andere ſtehende Jnſecten, welche
die Wuͤſten von Amerika den Wilden ſo beſchwerlich
machen, ſind ſo viel Stacheln der Thaͤtigkeit fuͤr dieſe
angehende Menſchen, um die Moraͤſte abzuleiten und die
dichte, den Luftzug abhaltende Waͤlder licht zu machen
und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens,
ihren Auffenthalt zugleich geſunder zu machen. Selbſt was
dem Menſchen in ſeiner innern Organiſation widerna-
tuͤrlich zu ſeyn ſcheint, wenn es auf dieſe Weiſe behan-
delt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch be-
lehrende Ausſicht in eine teleologiſche Ordnung der Din-
ge, auf die uns, ohne ein ſolches Princip, die blos phy-
ſiſche Betrachtung allein nicht fuͤhren wuͤrde. So wie
einige den Bandwurm dem Menſchen oder Thier, dem er
beywohnt, gleichſam zum Erſatz eines gewiſſen Mangels
ſeiner Lebensorganen beygegeben zu ſeyn urtheilen: ſo
wuͤrde ich fragen, ob nicht die Traͤume (ohne die niemals
der Schlaf iſt, ob man ſich gleich nur ſelten derſelben er-
innert) eine zweckmaͤßige Anordnung der Natur ſeyn
moͤgen, indem ſie naͤmlich bey dem Abſpannen aller koͤr-
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