bleibt, wenn sie es versucht aus den Elementen, die sie durch Zergliederung derselben, oder auch dem Stoff, den die Natur zur Nahrung derselben liefert, jene Producte des Gewächsreichs wieder herzustellen.
Drittens erzeugt ein Theil dieses Geschöpfs auch sich selbst so: daß die Erhaltung des einen von der Er- haltung der anderen wechselsweise abhängt. Das Auge an einem Baumblatt, dem Zweige eines andern einge- impft, bringt an einem fremdartigen Stocke ein Gewächs von seiner eignen Art hervor und eben so der Propfreis auf einem andern Stamme. Daher kann man auch an demselben Baume jeden Zweig oder Blatt als blos auf diesem gepropft oder oculirt, mithin als einen für sich selbst bestehenden Baum, der sich nur an einen andern anhängt und parasitisch nährt, ansehen. Zugleich sind die Blätter zwar Producte des Baums, erhalten aber diesen doch auch gegenseitig; denn die wiederholte Ent- blätterung würde ihn tödten und sein Wachsthum hängt von dieser ihrer Wirkung auf den Stamm ab. Der Selbsthülfe der Natur in diesen Geschöpfen bey ihrer Verletzung, wo der Mangel eines Theils, der zur Erhal- tung der benachbarten gehörte, von den übrigen ergänzt wird; der Misgeburten oder Misgestalten im Wachs- thum, da gewisse Theile, wegen vorkommender Mängel oder Hindernisse, sich auf ganz neue Art formen, um das, was da ist, zu erhalten und ein anomalisches Ge-
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
bleibt, wenn ſie es verſucht aus den Elementen, die ſie durch Zergliederung derſelben, oder auch dem Stoff, den die Natur zur Nahrung derſelben liefert, jene Producte des Gewaͤchsreichs wieder herzuſtellen.
Drittens erzeugt ein Theil dieſes Geſchoͤpfs auch ſich ſelbſt ſo: daß die Erhaltung des einen von der Er- haltung der anderen wechſelsweiſe abhaͤngt. Das Auge an einem Baumblatt, dem Zweige eines andern einge- impft, bringt an einem fremdartigen Stocke ein Gewaͤchs von ſeiner eignen Art hervor und eben ſo der Propfreis auf einem andern Stamme. Daher kann man auch an demſelben Baume jeden Zweig oder Blatt als blos auf dieſem gepropft oder oculirt, mithin als einen fuͤr ſich ſelbſt beſtehenden Baum, der ſich nur an einen andern anhaͤngt und paraſitiſch naͤhrt, anſehen. Zugleich ſind die Blaͤtter zwar Producte des Baums, erhalten aber dieſen doch auch gegenſeitig; denn die wiederholte Ent- blaͤtterung wuͤrde ihn toͤdten und ſein Wachsthum haͤngt von dieſer ihrer Wirkung auf den Stamm ab. Der Selbſthuͤlfe der Natur in dieſen Geſchoͤpfen bey ihrer Verletzung, wo der Mangel eines Theils, der zur Erhal- tung der benachbarten gehoͤrte, von den uͤbrigen ergaͤnzt wird; der Misgeburten oder Misgeſtalten im Wachs- thum, da gewiſſe Theile, wegen vorkommender Maͤngel oder Hinderniſſe, ſich auf ganz neue Art formen, um das, was da iſt, zu erhalten und ein anomaliſches Ge-
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
bleibt, wenn ſie es verſucht aus den Elementen, die ſie
durch Zergliederung derſelben, oder auch dem Stoff,
den die Natur zur Nahrung derſelben liefert, jene
Producte des Gewaͤchsreichs wieder herzuſtellen.
Drittens erzeugt ein Theil dieſes Geſchoͤpfs auch
ſich ſelbſt ſo: daß die Erhaltung des einen von der Er-
haltung der anderen wechſelsweiſe abhaͤngt. Das Auge
an einem Baumblatt, dem Zweige eines andern einge-
impft, bringt an einem fremdartigen Stocke ein Gewaͤchs
von ſeiner eignen Art hervor und eben ſo der Propfreis
auf einem andern Stamme. Daher kann man auch an
demſelben Baume jeden Zweig oder Blatt als blos auf
dieſem gepropft oder oculirt, mithin als einen fuͤr ſich
ſelbſt beſtehenden Baum, der ſich nur an einen andern
anhaͤngt und paraſitiſch naͤhrt, anſehen. Zugleich ſind
die Blaͤtter zwar Producte des Baums, erhalten aber
dieſen doch auch gegenſeitig; denn die wiederholte Ent-
blaͤtterung wuͤrde ihn toͤdten und ſein Wachsthum haͤngt
von dieſer ihrer Wirkung auf den Stamm ab. Der
Selbſthuͤlfe der Natur in dieſen Geſchoͤpfen bey ihrer
Verletzung, wo der Mangel eines Theils, der zur Erhal-
tung der benachbarten gehoͤrte, von den uͤbrigen ergaͤnzt
wird; der Misgeburten oder Misgeſtalten im Wachs-
thum, da gewiſſe Theile, wegen vorkommender Maͤngel
oder Hinderniſſe, ſich auf ganz neue Art formen, um
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/348>, abgerufen am 28.11.2024.
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