Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
Dinge selbst, dem sie beygelegt wird, blos zufällige
Zweckmäßigkeit; und obgleich unter den angeführten Bey-
spielen die Grasarten für sich, als organisirte Producte
der Natur, mithin als Kunstreich zu beurtheilen sind,
so werden sie doch in Beziehung auf Thiere, die sich da-
von nähren, als bloße rohe Materie angesehen.

Wenn aber vollends der Mensch durch Freyheit sei-
ner Caussalität die Naturdinge seinen oft thörigten Ab-
sichten (die bunte Vogelfedern zum Putzwerk seiner Be-
kleidung, farbigte Erden oder Pflanzensäfte zur Schmin-
ke) mannigmal auch vernünftiger Absicht, das Pferd
zum Reiten, den Stier und in Minorca sogar das
Schwein zum Pflügen zuträglich findet, so kann man hier
auch nicht einmal einen relativen Naturzweck (auf diesen
Gebrauch) annehmen. Denn seine Vernunft weis den
Dingen eine Uebereinstimmung mit seinen willkührlichen
Einfällen, dazu er selbst nicht einmal von der Natur
prädestinirt war, zu geben. Nur wenn man an-
nimmt, Menschen haben auf Erden leben sollen, so
müssen doch wenigstens die Mittel, ohne die sie als
Thiere und selbst als vernünftige Thiere (in wie nie-
drigem Grade es auch sey) nicht bestehen konnten,
auch nicht fehlen; alsdenn aber würden diejenigen
Naturdinge, die zu diesem Behuf unentbehrlich sind,
auch als Naturzwecke angesehen werden müssen.

Man sieht hieraus leicht ein, daß die äußere
weckmäßigkeit (Zuträglichkeit eines Dinges für an-

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Dinge ſelbſt, dem ſie beygelegt wird, blos zufaͤllige
Zweckmaͤßigkeit; und obgleich unter den angefuͤhrten Bey-
ſpielen die Grasarten fuͤr ſich, als organiſirte Producte
der Natur, mithin als Kunſtreich zu beurtheilen ſind,
ſo werden ſie doch in Beziehung auf Thiere, die ſich da-
von naͤhren, als bloße rohe Materie angeſehen.

Wenn aber vollends der Menſch durch Freyheit ſei-
ner Cauſſalitaͤt die Naturdinge ſeinen oft thoͤrigten Ab-
ſichten (die bunte Vogelfedern zum Putzwerk ſeiner Be-
kleidung, farbigte Erden oder Pflanzenſaͤfte zur Schmin-
ke) mannigmal auch vernuͤnftiger Abſicht, das Pferd
zum Reiten, den Stier und in Minorca ſogar das
Schwein zum Pfluͤgen zutraͤglich findet, ſo kann man hier
auch nicht einmal einen relativen Naturzweck (auf dieſen
Gebrauch) annehmen. Denn ſeine Vernunft weis den
Dingen eine Uebereinſtimmung mit ſeinen willkuͤhrlichen
Einfaͤllen, dazu er ſelbſt nicht einmal von der Natur
praͤdeſtinirt war, zu geben. Nur wenn man an-
nimmt, Menſchen haben auf Erden leben ſollen, ſo
muͤſſen doch wenigſtens die Mittel, ohne die ſie als
Thiere und ſelbſt als vernuͤnftige Thiere (in wie nie-
drigem Grade es auch ſey) nicht beſtehen konnten,
auch nicht fehlen; alsdenn aber wuͤrden diejenigen
Naturdinge, die zu dieſem Behuf unentbehrlich ſind,
auch als Naturzwecke angeſehen werden muͤſſen.

Man ſieht hieraus leicht ein, daß die aͤußere
weckmaͤßigkeit (Zutraͤglichkeit eines Dinges fuͤr an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0342" n="278"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Dinge &#x017F;elb&#x017F;t, dem &#x017F;ie beygelegt wird, blos zufa&#x0364;llige<lb/>
Zweckma&#x0364;ßigkeit; und obgleich unter den angefu&#x0364;hrten Bey-<lb/>
&#x017F;pielen die Grasarten fu&#x0364;r &#x017F;ich, als organi&#x017F;irte Producte<lb/>
der Natur, mithin als Kun&#x017F;treich zu beurtheilen &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;o werden &#x017F;ie doch in Beziehung auf Thiere, die &#x017F;ich da-<lb/>
von na&#x0364;hren, als bloße rohe Materie ange&#x017F;ehen.</p><lb/>
            <p>Wenn aber vollends der Men&#x017F;ch durch Freyheit &#x017F;ei-<lb/>
ner Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t die Naturdinge &#x017F;einen oft tho&#x0364;rigten Ab-<lb/>
&#x017F;ichten (die bunte Vogelfedern zum Putzwerk &#x017F;einer Be-<lb/>
kleidung, farbigte Erden oder Pflanzen&#x017F;a&#x0364;fte zur Schmin-<lb/>
ke) mannigmal auch vernu&#x0364;nftiger Ab&#x017F;icht, das Pferd<lb/>
zum Reiten, den Stier und in Minorca &#x017F;ogar das<lb/>
Schwein zum Pflu&#x0364;gen zutra&#x0364;glich findet, &#x017F;o kann man hier<lb/>
auch nicht einmal einen relativen Naturzweck (auf die&#x017F;en<lb/>
Gebrauch) annehmen. Denn &#x017F;eine Vernunft weis den<lb/>
Dingen eine Ueberein&#x017F;timmung mit &#x017F;einen willku&#x0364;hrlichen<lb/>
Einfa&#x0364;llen, dazu er &#x017F;elb&#x017F;t nicht einmal von der Natur<lb/>
pra&#x0364;de&#x017F;tinirt war, zu geben. Nur wenn man an-<lb/>
nimmt, Men&#x017F;chen haben auf Erden leben &#x017F;ollen, &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en doch wenig&#x017F;tens die Mittel, ohne die &#x017F;ie als<lb/>
Thiere und &#x017F;elb&#x017F;t als vernu&#x0364;nftige Thiere (in wie nie-<lb/>
drigem Grade es auch &#x017F;ey) nicht be&#x017F;tehen konnten,<lb/>
auch nicht fehlen; alsdenn aber wu&#x0364;rden diejenigen<lb/>
Naturdinge, die zu die&#x017F;em Behuf unentbehrlich &#x017F;ind,<lb/>
auch als Naturzwecke ange&#x017F;ehen werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Man &#x017F;ieht hieraus leicht ein, daß die a&#x0364;ußere<lb/>
weckma&#x0364;ßigkeit (Zutra&#x0364;glichkeit eines Dinges fu&#x0364;r an-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0342] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. Dinge ſelbſt, dem ſie beygelegt wird, blos zufaͤllige Zweckmaͤßigkeit; und obgleich unter den angefuͤhrten Bey- ſpielen die Grasarten fuͤr ſich, als organiſirte Producte der Natur, mithin als Kunſtreich zu beurtheilen ſind, ſo werden ſie doch in Beziehung auf Thiere, die ſich da- von naͤhren, als bloße rohe Materie angeſehen. Wenn aber vollends der Menſch durch Freyheit ſei- ner Cauſſalitaͤt die Naturdinge ſeinen oft thoͤrigten Ab- ſichten (die bunte Vogelfedern zum Putzwerk ſeiner Be- kleidung, farbigte Erden oder Pflanzenſaͤfte zur Schmin- ke) mannigmal auch vernuͤnftiger Abſicht, das Pferd zum Reiten, den Stier und in Minorca ſogar das Schwein zum Pfluͤgen zutraͤglich findet, ſo kann man hier auch nicht einmal einen relativen Naturzweck (auf dieſen Gebrauch) annehmen. Denn ſeine Vernunft weis den Dingen eine Uebereinſtimmung mit ſeinen willkuͤhrlichen Einfaͤllen, dazu er ſelbſt nicht einmal von der Natur praͤdeſtinirt war, zu geben. Nur wenn man an- nimmt, Menſchen haben auf Erden leben ſollen, ſo muͤſſen doch wenigſtens die Mittel, ohne die ſie als Thiere und ſelbſt als vernuͤnftige Thiere (in wie nie- drigem Grade es auch ſey) nicht beſtehen konnten, auch nicht fehlen; alsdenn aber wuͤrden diejenigen Naturdinge, die zu dieſem Behuf unentbehrlich ſind, auch als Naturzwecke angeſehen werden muͤſſen. Man ſieht hieraus leicht ein, daß die aͤußere weckmaͤßigkeit (Zutraͤglichkeit eines Dinges fuͤr an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/342
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/342>, abgerufen am 27.11.2024.