des Geschmacks, wornach die Urtheile desselben geleitet, geprüft und bewiesen werden könnten, zu geben, ist schlechterdings unmöglich; denn es wäre alsdenn kein Geschmacksurtheil. Das subjective Princip, nämlich die unbestimmte Jdee des Uebersinnlichen in uns, kann nur als der einzige Schlüssel der Enträthselung dieses uns selbst seinen Quellen nach verborgenen Vermögens an- gezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht werden.
Der hier aufgestellten und ausgeglichenen Antino- mie liegt der richtige Begrif des Geschmacks, nämlich als einer blos reflectirenden ästhetischen Urtheilskraft, zum Grunde und da wurden beyde dem Scheine nach wider- streitende Grundsätze mit einander vereinig[t], indem beyde wahr seyn können, welches auch genug ist. Würde dagegen zum Bestimmungsgrunde des Ge- schmacks, (wegen der Einzelnheit der Vorstellung, die dem Geschmacksurtheil zum Grunde liegt), wie von Einigen geschieht, die Annehmlichkeit, oder wie an- dere (wegen der Allgemeingültigkeit desselben) wollen, das Princip der Vollkommenheit angenommen und die Definition des Geschmacks darnach eingerichtet, so entspringt daraus eine Antinomie, die schlechterdings nicht auszugleichen ist, als so; daß man zeigt, daß beyde einander (aber nicht blos contradictorisch) ent- gegenstehende Sätze falsch sind; welches dann be- weiset, daß der Begrif worauf ein jeder gegründet ist,
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
des Geſchmacks, wornach die Urtheile deſſelben geleitet, gepruͤft und bewieſen werden koͤnnten, zu geben, iſt ſchlechterdings unmoͤglich; denn es waͤre alsdenn kein Geſchmacksurtheil. Das ſubjective Princip, naͤmlich die unbeſtimmte Jdee des Ueberſinnlichen in uns, kann nur als der einzige Schluͤſſel der Entraͤthſelung dieſes uns ſelbſt ſeinen Quellen nach verborgenen Vermoͤgens an- gezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht werden.
Der hier aufgeſtellten und ausgeglichenen Antino- mie liegt der richtige Begrif des Geſchmacks, naͤmlich als einer blos reflectirenden aͤſthetiſchen Urtheilskraft, zum Grunde und da wurden beyde dem Scheine nach wider- ſtreitende Grundſaͤtze mit einander vereinig[t], indem beyde wahr ſeyn koͤnnen, welches auch genug iſt. Wuͤrde dagegen zum Beſtimmungsgrunde des Ge- ſchmacks, (wegen der Einzelnheit der Vorſtellung, die dem Geſchmacksurtheil zum Grunde liegt), wie von Einigen geſchieht, die Annehmlichkeit, oder wie an- dere (wegen der Allgemeinguͤltigkeit deſſelben) wollen, das Princip der Vollkommenheit angenommen und die Definition des Geſchmacks darnach eingerichtet, ſo entſpringt daraus eine Antinomie, die ſchlechterdings nicht auszugleichen iſt, als ſo; daß man zeigt, daß beyde einander (aber nicht blos contradictoriſch) ent- gegenſtehende Saͤtze falſch ſind; welches dann be- weiſet, daß der Begrif worauf ein jeder gegruͤndet iſt,
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
des Geſchmacks, wornach die Urtheile deſſelben geleitet,
gepruͤft und bewieſen werden koͤnnten, zu geben, iſt
ſchlechterdings unmoͤglich; denn es waͤre alsdenn kein
Geſchmacksurtheil. Das ſubjective Princip, naͤmlich
die unbeſtimmte Jdee des Ueberſinnlichen in uns, kann
nur als der einzige Schluͤſſel der Entraͤthſelung dieſes uns
ſelbſt ſeinen Quellen nach verborgenen Vermoͤgens an-
gezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht
werden.
Der hier aufgeſtellten und ausgeglichenen Antino-
mie liegt der richtige Begrif des Geſchmacks, naͤmlich als
einer blos reflectirenden aͤſthetiſchen Urtheilskraft, zum
Grunde und da wurden beyde dem Scheine nach wider-
ſtreitende Grundſaͤtze mit einander vereinigt, indem
beyde wahr ſeyn koͤnnen, welches auch genug iſt.
Wuͤrde dagegen zum Beſtimmungsgrunde des Ge-
ſchmacks, (wegen der Einzelnheit der Vorſtellung, die
dem Geſchmacksurtheil zum Grunde liegt), wie von
Einigen geſchieht, die Annehmlichkeit, oder wie an-
dere (wegen der Allgemeinguͤltigkeit deſſelben) wollen,
das Princip der Vollkommenheit angenommen und
die Definition des Geſchmacks darnach eingerichtet, ſo
entſpringt daraus eine Antinomie, die ſchlechterdings
nicht auszugleichen iſt, als ſo; daß man zeigt, daß
beyde einander (aber nicht blos contradictoriſch) ent-
gegenſtehende Saͤtze falſch ſind; welches dann be-
weiſet, daß der Begrif worauf ein jeder gegruͤndet iſt,
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/299>, abgerufen am 27.11.2024.
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