sich gar nicht durch Anschauung bestimmen, durch den sich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis für das Geschmacksurtheil führen läßt. Ein derglei- chen Begrif aber ist der bloße reine Vernunftbegrif von dem Uebersinnlichen, was dem Gegenstande (und auch dem urtheilenden Subjecte) als Sinnenobjecte mithin Erscheinung zum Grunde liegt. Denn nähme man eine solche Rücksicht nicht an, so wäre der Anspruch des Ge- schmacksurtheils auf allgemeine Gültigkeit nicht zu ret- ten; wäre der Begrif, worauf es sich gründet ein nur blos verworrener Verstandesbegrif, etwa von Vollkom- menheit, dem man correspondirend die sinnliche An- schauung des Schönen geben könnte, so würde es wenig- stens an sich möglich seyn, das Geschmacksurtheil auf Beweise zu gründen, welches der Thesis widerspricht.
Nun fällt aber aller Widerspruch weg, wenn ich sage; das Geschmacksurtheil gründet sich auf einem Begriffe, (eines Grundes überhaupt von der subjectiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urtheilskraft) aus dem aber nichts in Ansehung des Objects erkannt und bewiesen werden kann, weil er an sich unbestimmbar und zum Erkenntnis untauglich ist; es bekommt aber durch eben denselben doch zugleich Gültigkeit für jedermann (bey jedem zwar als einzelnes, die Anschauung unmit- telbar begleitendes, Urtheil) weil der Bestimmungs- grund desselben vielleicht im Begriffe von demjenigen
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ſich gar nicht durch Anſchauung beſtimmen, durch den ſich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis fuͤr das Geſchmacksurtheil fuͤhren laͤßt. Ein derglei- chen Begrif aber iſt der bloße reine Vernunftbegrif von dem Ueberſinnlichen, was dem Gegenſtande (und auch dem urtheilenden Subjecte) als Sinnenobjecte mithin Erſcheinung zum Grunde liegt. Denn naͤhme man eine ſolche Ruͤckſicht nicht an, ſo waͤre der Anſpruch des Ge- ſchmacksurtheils auf allgemeine Guͤltigkeit nicht zu ret- ten; waͤre der Begrif, worauf es ſich gruͤndet ein nur blos verworrener Verſtandesbegrif, etwa von Vollkom- menheit, dem man correſpondirend die ſinnliche An- ſchauung des Schoͤnen geben koͤnnte, ſo wuͤrde es wenig- ſtens an ſich moͤglich ſeyn, das Geſchmacksurtheil auf Beweiſe zu gruͤnden, welches der Theſis widerſpricht.
Nun faͤllt aber aller Widerſpruch weg, wenn ich ſage; das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich auf einem Begriffe, (eines Grundes uͤberhaupt von der ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit der Natur fuͤr die Urtheilskraft) aus dem aber nichts in Anſehung des Objects erkannt und bewieſen werden kann, weil er an ſich unbeſtimmbar und zum Erkenntnis untauglich iſt; es bekommt aber durch eben denſelben doch zugleich Guͤltigkeit fuͤr jedermann (bey jedem zwar als einzelnes, die Anſchauung unmit- telbar begleitendes, Urtheil) weil der Beſtimmungs- grund deſſelben vielleicht im Begriffe von demjenigen
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ſich gar nicht durch Anſchauung beſtimmen, durch den
ſich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis fuͤr
das Geſchmacksurtheil fuͤhren laͤßt. Ein derglei-
chen Begrif aber iſt der bloße reine Vernunftbegrif von
dem Ueberſinnlichen, was dem Gegenſtande (und auch
dem urtheilenden Subjecte) als Sinnenobjecte mithin
Erſcheinung zum Grunde liegt. Denn naͤhme man eine
ſolche Ruͤckſicht nicht an, ſo waͤre der Anſpruch des Ge-
ſchmacksurtheils auf allgemeine Guͤltigkeit nicht zu ret-
ten; waͤre der Begrif, worauf es ſich gruͤndet ein nur
blos verworrener Verſtandesbegrif, etwa von Vollkom-
menheit, dem man correſpondirend die ſinnliche An-
ſchauung des Schoͤnen geben koͤnnte, ſo wuͤrde es wenig-
ſtens an ſich moͤglich ſeyn, das Geſchmacksurtheil auf
Beweiſe zu gruͤnden, welches der Theſis widerſpricht.
Nun faͤllt aber aller Widerſpruch weg, wenn ich
ſage; das Geſchmacksurtheil gruͤndet ſich auf einem
Begriffe, (eines Grundes uͤberhaupt von der ſubjectiven
Zweckmaͤßigkeit der Natur fuͤr die Urtheilskraft) aus
dem aber nichts in Anſehung des Objects erkannt und
bewieſen werden kann, weil er an ſich unbeſtimmbar und
zum Erkenntnis untauglich iſt; es bekommt aber durch
eben denſelben doch zugleich Guͤltigkeit fuͤr jedermann
(bey jedem zwar als einzelnes, die Anſchauung unmit-
telbar begleitendes, Urtheil) weil der Beſtimmungs-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/297>, abgerufen am 16.07.2024.
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