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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
gung bewirkt, die allein und nicht das, was im Gemüthe
vorgeht, die eigentliche Ursache des Vergnügens an einem
Gedanken ist, der im Grunde nichts vorstellt. -- Voltaire
sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die
vielen Mühseeligkeiten des Lebens zwey Dinge gegeben: die
Hofnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen da-
zu rechnen können; wenn die Mittel es bey Vernünftigen zu
erregen nur so leicht bey der Hand wären, und der Witz oder
Originalität der Laune, die dazu erforderlich ist, nicht eben so
selten wären, als häufig das Talent Kopfbrechend, wie my-
stische Grübler, halsbrechend, wie Genies, oder herz-
brechend,
wie empfindsame Romanschreiber, (auch wohl
dergleichen Moralisten) zu dichten.

Man kann also, wie mich dünkt, dem Epikur wohl ein-
räumen: daß alles Vergnügen, wenn es gleich durch Be-
griffe veranlaßt wird, welche [äst]hetische Jdeen erwecken,
animalische d. i. körperliche Empfindung, sey, ohne da-
durch dem geistigen Gefühl der Achtung für moralische
Jdeen welche kein Vergnügen ist, sondern eine Selbstschä-
tzung (der Menschheit in uns) die uns über das Bedürfnis
desselben erhebt, ja selbst nicht einmal dem minder edlen des
Geschmacks im mindesten Abbruch zu thun.

Etwas aus beyden zusammengesetztes findet sich in der
Naivität, die der Ausbruch der der Menschheit ursprüng-
lich natürlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur
gewordenen Verstellungskunst ist. Man lacht über die Ein-
falt, die es noch nicht versteht sich zu verstellen und erfreut
sich doch auch über die Einfalt der Natur, die jener Kunst
hier einen Querstrich spielt. Man erwartete die alltägliche
Sitte der gekünstelten und auf den schönen Schein vorsichtig
angelegten Aeußerung und siehe es ist die unverdorbene schuld-
lose Natur, die man anzutreffen gar nicht gewärtig und der,

Kants Crit. d. Urtheilskr. P

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
gung bewirkt, die allein und nicht das, was im Gemuͤthe
vorgeht, die eigentliche Urſache des Vergnuͤgens an einem
Gedanken iſt, der im Grunde nichts vorſtellt. — Voltaire
ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die
vielen Muͤhſeeligkeiten des Lebens zwey Dinge gegeben: die
Hofnung und den Schlaf. Er haͤtte noch das Lachen da-
zu rechnen koͤnnen; wenn die Mittel es bey Vernuͤnftigen zu
erregen nur ſo leicht bey der Hand waͤren, und der Witz oder
Originalitaͤt der Laune, die dazu erforderlich iſt, nicht eben ſo
ſelten waͤren, als haͤufig das Talent Kopfbrechend, wie my-
ſtiſche Gruͤbler, halsbrechend, wie Genies, oder herz-
brechend,
wie empfindſame Romanſchreiber, (auch wohl
dergleichen Moraliſten) zu dichten.

Man kann alſo, wie mich duͤnkt, dem Epikur wohl ein-
raͤumen: daß alles Vergnuͤgen, wenn es gleich durch Be-
griffe veranlaßt wird, welche [aͤſt]hetiſche Jdeen erwecken,
animaliſche d. i. koͤrperliche Empfindung, ſey, ohne da-
durch dem geiſtigen Gefuͤhl der Achtung fuͤr moraliſche
Jdeen welche kein Vergnuͤgen iſt, ſondern eine Selbſtſchaͤ-
tzung (der Menſchheit in uns) die uns uͤber das Beduͤrfnis
deſſelben erhebt, ja ſelbſt nicht einmal dem minder edlen des
Geſchmacks im mindeſten Abbruch zu thun.

Etwas aus beyden zuſammengeſetztes findet ſich in der
Naivitaͤt, die der Ausbruch der der Menſchheit urſpruͤng-
lich natuͤrlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur
gewordenen Verſtellungskunſt iſt. Man lacht uͤber die Ein-
falt, die es noch nicht verſteht ſich zu verſtellen und erfreut
ſich doch auch uͤber die Einfalt der Natur, die jener Kunſt
hier einen Querſtrich ſpielt. Man erwartete die alltaͤgliche
Sitte der gekuͤnſtelten und auf den ſchoͤnen Schein vorſichtig
angelegten Aeußerung und ſiehe es iſt die unverdorbene ſchuld-
loſe Natur, die man anzutreffen gar nicht gewaͤrtig und der,

Kants Crit. d. Urtheilskr. P
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[225/0289] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. gung bewirkt, die allein und nicht das, was im Gemuͤthe vorgeht, die eigentliche Urſache des Vergnuͤgens an einem Gedanken iſt, der im Grunde nichts vorſtellt. — Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Muͤhſeeligkeiten des Lebens zwey Dinge gegeben: die Hofnung und den Schlaf. Er haͤtte noch das Lachen da- zu rechnen koͤnnen; wenn die Mittel es bey Vernuͤnftigen zu erregen nur ſo leicht bey der Hand waͤren, und der Witz oder Originalitaͤt der Laune, die dazu erforderlich iſt, nicht eben ſo ſelten waͤren, als haͤufig das Talent Kopfbrechend, wie my- ſtiſche Gruͤbler, halsbrechend, wie Genies, oder herz- brechend, wie empfindſame Romanſchreiber, (auch wohl dergleichen Moraliſten) zu dichten. Man kann alſo, wie mich duͤnkt, dem Epikur wohl ein- raͤumen: daß alles Vergnuͤgen, wenn es gleich durch Be- griffe veranlaßt wird, welche aͤſthetiſche Jdeen erwecken, animaliſche d. i. koͤrperliche Empfindung, ſey, ohne da- durch dem geiſtigen Gefuͤhl der Achtung fuͤr moraliſche Jdeen welche kein Vergnuͤgen iſt, ſondern eine Selbſtſchaͤ- tzung (der Menſchheit in uns) die uns uͤber das Beduͤrfnis deſſelben erhebt, ja ſelbſt nicht einmal dem minder edlen des Geſchmacks im mindeſten Abbruch zu thun. Etwas aus beyden zuſammengeſetztes findet ſich in der Naivitaͤt, die der Ausbruch der der Menſchheit urſpruͤng- lich natuͤrlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur gewordenen Verſtellungskunſt iſt. Man lacht uͤber die Ein- falt, die es noch nicht verſteht ſich zu verſtellen und erfreut ſich doch auch uͤber die Einfalt der Natur, die jener Kunſt hier einen Querſtrich ſpielt. Man erwartete die alltaͤgliche Sitte der gekuͤnſtelten und auf den ſchoͤnen Schein vorſichtig angelegten Aeußerung und ſiehe es iſt die unverdorbene ſchuld- loſe Natur, die man anzutreffen gar nicht gewaͤrtig und der, Kants Crit. d. Urtheilskr. P

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/289>, abgerufen am 27.11.2024.