Jch räume nun zwar gerne ein, daß das Jnteresse am Schönen der Kunst (wozu ich auch den künst- lichen Gebrauch der Naturschönheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Mo- ralischguten anhänglichen, oder auch nur dazu geneig- ten Denkungsart abgebe, dagegen behaupte ich, daß ein unmittelbares Jnteresse an der Schönheit der Na- tur zu nehmen (nicht blos Geschmack haben, um sie zu beurtheilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sey, wenn dieses Jnteresse habituell ist, wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemüthsstimmung an- zeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet. Man muß sich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die schöne Formen der Natur meyne, die Reize dagegen, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite setze, weil das Jn- teresse daran zwar auch unmittelbar, aber doch empi- risch ist.
Der, so einsam (und ohne Absicht seine Bemerkun- gen andern mittheilen zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Jnsects u. s. w. be- trachtet, um sie zu bewundern, zu lieben und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, vielweni- ger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellectuelles Jnteresse an der Schönheit der Natur, d. i. nicht allein ihr Product
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Jch raͤume nun zwar gerne ein, daß das Jntereſſe am Schoͤnen der Kunſt (wozu ich auch den kuͤnſt- lichen Gebrauch der Naturſchoͤnheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Mo- raliſchguten anhaͤnglichen, oder auch nur dazu geneig- ten Denkungsart abgebe, dagegen behaupte ich, daß ein unmittelbares Jntereſſe an der Schoͤnheit der Na- tur zu nehmen (nicht blos Geſchmack haben, um ſie zu beurtheilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele ſey, wenn dieſes Jntereſſe habituell iſt, wenigſtens eine dem moraliſchen Gefuͤhl guͤnſtige Gemuͤthsſtimmung an- zeige, wenn es ſich mit der Beſchauung der Natur gerne verbindet. Man muß ſich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die ſchoͤne Formen der Natur meyne, die Reize dagegen, welche ſie ſo reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite ſetze, weil das Jn- tereſſe daran zwar auch unmittelbar, aber doch empi- riſch iſt.
Der, ſo einſam (und ohne Abſicht ſeine Bemerkun- gen andern mittheilen zu wollen) die ſchoͤne Geſtalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Jnſects u. ſ. w. be- trachtet, um ſie zu bewundern, zu lieben und ſie nicht gerne in der Natur uͤberhaupt vermiſſen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geſchaͤhe, vielweni- ger ein Nutzen daraus fuͤr ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellectuelles Jntereſſe an der Schoͤnheit der Natur, d. i. nicht allein ihr Product
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Jch raͤume nun zwar gerne ein, daß das Jntereſſe
am Schoͤnen der Kunſt (wozu ich auch den kuͤnſt-
lichen Gebrauch der Naturſchoͤnheiten zum Putze, mithin
zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Mo-
raliſchguten anhaͤnglichen, oder auch nur dazu geneig-
ten Denkungsart abgebe, dagegen behaupte ich, daß ein
unmittelbares Jntereſſe an der Schoͤnheit der Na-
tur zu nehmen (nicht blos Geſchmack haben, um ſie zu
beurtheilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele
ſey, wenn dieſes Jntereſſe habituell iſt, wenigſtens eine
dem moraliſchen Gefuͤhl guͤnſtige Gemuͤthsſtimmung an-
zeige, wenn es ſich mit der Beſchauung der Natur
gerne verbindet. Man muß ſich aber wohl erinnern, daß
ich hier eigentlich die ſchoͤne Formen der Natur meyne,
die Reize dagegen, welche ſie ſo reichlich auch mit jenen
zu verbinden pflegt, noch zur Seite ſetze, weil das Jn-
tereſſe daran zwar auch unmittelbar, aber doch empi-
riſch iſt.
Der, ſo einſam (und ohne Abſicht ſeine Bemerkun-
gen andern mittheilen zu wollen) die ſchoͤne Geſtalt einer
wilden Blume, eines Vogels, eines Jnſects u. ſ. w. be-
trachtet, um ſie zu bewundern, zu lieben und ſie nicht
gerne in der Natur uͤberhaupt vermiſſen zu wollen, ob
ihm gleich dadurch einiger Schaden geſchaͤhe, vielweni-
ger ein Nutzen daraus fuͤr ihn hervorleuchtete, nimmt
ein unmittelbares und zwar intellectuelles Jntereſſe an
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/228>, abgerufen am 05.12.2024.
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