wenden und critisirt die Producte der schönen Kunst, so wie jene das Vermögen selbst sie zu beurtheilen.
§. 35. Das Princip des Geschmacks ist das subje- ctive Princip der Urtheilskraft überhaupt.
Das Geschmacksurtheil unterscheidet sich darin von dem logischen; daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe vom Object, das erstere aber gar nicht unter einem Begriffe subsumirt, weil sonst der nothwendige allgemeine Beyfall durch Beweise würde erzwungen wer- den können. Gleichwohl aber ist es darin dem letztern ähnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine blos subjective vorgiebt. Weil nun die Begriffe in einem Urtheile den Jnhalt derselben (zum Erkenntnis des Ob- jects gehörige) ausmachen, das Geschmacksurtheil aber nicht durch Begriffe bestimmbar ist, so gründet es sich nur auf der subjectiven formalen Bedingung eines Ur- theils überhaupt. Die subjective Bedingung aller Ur- theile ist das Vermögen zn urtheilen selbst, oder die Ur- theilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, da- durch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweyer Vorstellungskräfte Zusammenstimmung, nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zu- sammensetzung des Mannigfaltigen derselben) und den Verstand (für den Begrif als Vorstellung der Einheit
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
wenden und critiſirt die Producte der ſchoͤnen Kunſt, ſo wie jene das Vermoͤgen ſelbſt ſie zu beurtheilen.
§. 35. Das Princip des Geſchmacks iſt das ſubje- ctive Princip der Urtheilskraft uͤberhaupt.
Das Geſchmacksurtheil unterſcheidet ſich darin von dem logiſchen; daß das letztere eine Vorſtellung unter Begriffe vom Object, das erſtere aber gar nicht unter einem Begriffe ſubſumirt, weil ſonſt der nothwendige allgemeine Beyfall durch Beweiſe wuͤrde erzwungen wer- den koͤnnen. Gleichwohl aber iſt es darin dem letztern aͤhnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine blos ſubjective vorgiebt. Weil nun die Begriffe in einem Urtheile den Jnhalt derſelben (zum Erkenntnis des Ob- jects gehoͤrige) ausmachen, das Geſchmacksurtheil aber nicht durch Begriffe beſtimmbar iſt, ſo gruͤndet es ſich nur auf der ſubjectiven formalen Bedingung eines Ur- theils uͤberhaupt. Die ſubjective Bedingung aller Ur- theile iſt das Vermoͤgen zn urtheilen ſelbſt, oder die Ur- theilskraft. Dieſe, in Anſehung einer Vorſtellung, da- durch ein Gegenſtand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweyer Vorſtellungskraͤfte Zuſammenſtimmung, naͤmlich der Einbildungskraft (fuͤr die Anſchauung und die Zu- ſammenſetzung des Mannigfaltigen derſelben) und den Verſtand (fuͤr den Begrif als Vorſtellung der Einheit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0207"n="143"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/>
wenden und critiſirt die Producte der ſchoͤnen Kunſt, ſo<lb/>
wie <hirendition="#fr">jene</hi> das Vermoͤgen ſelbſt ſie zu beurtheilen.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">§. 35.<lb/>
Das Princip des Geſchmacks iſt das ſubje-<lb/>
ctive Princip der Urtheilskraft uͤberhaupt</hi>.</head><lb/><p>Das Geſchmacksurtheil unterſcheidet ſich darin von<lb/>
dem logiſchen; daß das letztere eine Vorſtellung unter<lb/>
Begriffe vom Object, das erſtere aber gar nicht unter<lb/>
einem Begriffe ſubſumirt, weil ſonſt der nothwendige<lb/>
allgemeine Beyfall durch Beweiſe wuͤrde erzwungen wer-<lb/>
den koͤnnen. Gleichwohl aber iſt es darin dem letztern<lb/>
aͤhnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit,<lb/>
aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine blos<lb/>ſubjective vorgiebt. Weil nun die Begriffe in einem<lb/>
Urtheile den Jnhalt derſelben (zum Erkenntnis des Ob-<lb/>
jects gehoͤrige) ausmachen, das Geſchmacksurtheil aber<lb/>
nicht durch Begriffe beſtimmbar iſt, ſo gruͤndet es ſich<lb/>
nur auf der ſubjectiven formalen Bedingung eines Ur-<lb/>
theils uͤberhaupt. Die ſubjective Bedingung aller Ur-<lb/>
theile iſt das Vermoͤgen zn urtheilen ſelbſt, oder die Ur-<lb/>
theilskraft. Dieſe, in Anſehung einer Vorſtellung, da-<lb/>
durch ein Gegenſtand gegeben wird, gebraucht, erfordert<lb/>
zweyer Vorſtellungskraͤfte Zuſammenſtimmung, naͤmlich<lb/>
der Einbildungskraft (fuͤr die Anſchauung und die Zu-<lb/>ſammenſetzung des Mannigfaltigen derſelben) und den<lb/>
Verſtand (fuͤr den Begrif als Vorſtellung der Einheit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[143/0207]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
wenden und critiſirt die Producte der ſchoͤnen Kunſt, ſo
wie jene das Vermoͤgen ſelbſt ſie zu beurtheilen.
§. 35.
Das Princip des Geſchmacks iſt das ſubje-
ctive Princip der Urtheilskraft uͤberhaupt.
Das Geſchmacksurtheil unterſcheidet ſich darin von
dem logiſchen; daß das letztere eine Vorſtellung unter
Begriffe vom Object, das erſtere aber gar nicht unter
einem Begriffe ſubſumirt, weil ſonſt der nothwendige
allgemeine Beyfall durch Beweiſe wuͤrde erzwungen wer-
den koͤnnen. Gleichwohl aber iſt es darin dem letztern
aͤhnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit,
aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine blos
ſubjective vorgiebt. Weil nun die Begriffe in einem
Urtheile den Jnhalt derſelben (zum Erkenntnis des Ob-
jects gehoͤrige) ausmachen, das Geſchmacksurtheil aber
nicht durch Begriffe beſtimmbar iſt, ſo gruͤndet es ſich
nur auf der ſubjectiven formalen Bedingung eines Ur-
theils uͤberhaupt. Die ſubjective Bedingung aller Ur-
theile iſt das Vermoͤgen zn urtheilen ſelbſt, oder die Ur-
theilskraft. Dieſe, in Anſehung einer Vorſtellung, da-
durch ein Gegenſtand gegeben wird, gebraucht, erfordert
zweyer Vorſtellungskraͤfte Zuſammenſtimmung, naͤmlich
der Einbildungskraft (fuͤr die Anſchauung und die Zu-
ſammenſetzung des Mannigfaltigen derſelben) und den
Verſtand (fuͤr den Begrif als Vorſtellung der Einheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/207>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.