dern der Natur jenen Regeln gemäs bestimmt werden kann. Doch heißen dergleichen practische Regeln nicht Gesetze (etwa so wie physische) sondern nur Vorschriften, und zwar darum, weil der Wille nicht blos unter dem Naturbegriffe, sondern auch unter dem Freyheitsbegriffe sieht, in Beziehung auf welchen die Principien desselben Gesetze heissen und, mit ihren Folgerungen, den zweyten Theil der Philosophie, nämlich den practischen allein ausmachen.
So wenig also die Auflösung der Probleme der rei- nen Geometrie zu einem besonderen Theile derselben ge- hört, oder die Feldmeßkunst den Nahmen einer practi- schen Geometrie, zum Unterschiede von der reinen, als ein zweyter Theil der Geometrie überhaupt verdient: so und noch weniger, darf die mechanische oder chemische Kunst der Experimente oder der Beobachtungen, für einen practischen Theil der Naturlehre, endlich die Haus- Land-Staatswirthschaft, die Kunst des Umganges, die Vorschrift der Diätetik, selbst nicht die allgemeine Glück- seeligkeitslehre, sogar nicht einmal die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affecten zum Behuf der letzteren zur practischen Philosophie gezählt werden, oder die letzteren wohl gar den zweyten Theil der Philosophie überhaupt ausmachen; weil sie insgesammt nur Regeln der Geschicklichkeit, die mithin nur technisch-practisch sind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die, nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen mög-
Einleitung.
dern der Natur jenen Regeln gemaͤs beſtimmt werden kann. Doch heißen dergleichen practiſche Regeln nicht Geſetze (etwa ſo wie phyſiſche) ſondern nur Vorſchriften, und zwar darum, weil der Wille nicht blos unter dem Naturbegriffe, ſondern auch unter dem Freyheitsbegriffe ſieht, in Beziehung auf welchen die Principien deſſelben Geſetze heiſſen und, mit ihren Folgerungen, den zweyten Theil der Philoſophie, naͤmlich den practiſchen allein ausmachen.
So wenig alſo die Aufloͤſung der Probleme der rei- nen Geometrie zu einem beſonderen Theile derſelben ge- hoͤrt, oder die Feldmeßkunſt den Nahmen einer practi- ſchen Geometrie, zum Unterſchiede von der reinen, als ein zweyter Theil der Geometrie uͤberhaupt verdient: ſo und noch weniger, darf die mechaniſche oder chemiſche Kunſt der Experimente oder der Beobachtungen, fuͤr einen practiſchen Theil der Naturlehre, endlich die Haus- Land-Staatswirthſchaft, die Kunſt des Umganges, die Vorſchrift der Diaͤtetik, ſelbſt nicht die allgemeine Gluͤck- ſeeligkeitslehre, ſogar nicht einmal die Bezaͤhmung der Neigungen und Baͤndigung der Affecten zum Behuf der letzteren zur practiſchen Philoſophie gezaͤhlt werden, oder die letzteren wohl gar den zweyten Theil der Philoſophie uͤberhaupt ausmachen; weil ſie insgeſammt nur Regeln der Geſchicklichkeit, die mithin nur techniſch-practiſch ſind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die, nach Naturbegriffen der Urſachen und Wirkungen moͤg-
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[XIV/0020]
Einleitung.
dern der Natur jenen Regeln gemaͤs beſtimmt werden
kann. Doch heißen dergleichen practiſche Regeln nicht
Geſetze (etwa ſo wie phyſiſche) ſondern nur Vorſchriften,
und zwar darum, weil der Wille nicht blos unter dem
Naturbegriffe, ſondern auch unter dem Freyheitsbegriffe
ſieht, in Beziehung auf welchen die Principien deſſelben
Geſetze heiſſen und, mit ihren Folgerungen, den zweyten
Theil der Philoſophie, naͤmlich den practiſchen allein
ausmachen.
So wenig alſo die Aufloͤſung der Probleme der rei-
nen Geometrie zu einem beſonderen Theile derſelben ge-
hoͤrt, oder die Feldmeßkunſt den Nahmen einer practi-
ſchen Geometrie, zum Unterſchiede von der reinen, als
ein zweyter Theil der Geometrie uͤberhaupt verdient: ſo
und noch weniger, darf die mechaniſche oder chemiſche
Kunſt der Experimente oder der Beobachtungen, fuͤr
einen practiſchen Theil der Naturlehre, endlich die Haus-
Land-Staatswirthſchaft, die Kunſt des Umganges, die
Vorſchrift der Diaͤtetik, ſelbſt nicht die allgemeine Gluͤck-
ſeeligkeitslehre, ſogar nicht einmal die Bezaͤhmung der
Neigungen und Baͤndigung der Affecten zum Behuf der
letzteren zur practiſchen Philoſophie gezaͤhlt werden, oder
die letzteren wohl gar den zweyten Theil der Philoſophie
uͤberhaupt ausmachen; weil ſie insgeſammt nur Regeln
der Geſchicklichkeit, die mithin nur techniſch-practiſch
ſind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die,
nach Naturbegriffen der Urſachen und Wirkungen moͤg-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/20>, abgerufen am 04.12.2024.
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