kung in der Erscheinung, sich jene offenbaren. Die Nor- malidee muß ihre Elemente zur Gestalt eines Thiers von besonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber die größte Zweckmäßigkeit in der Construction der Ge- stalt, die zum allgemeinen Richtmaas der ästhetischen Beurtheilung jedes Einzelnen dieser Species tauglich wäre, das Bild, was gleichsam absichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gat- tung im Ganzen, aber kein Einzelnes abgesondert ad- äquat ist, liegt doch blos in der Jdee des Beurtheilen- den, welche aber, mit ihren Proportionen, als ästheti- sche Jdee, in einem Musterbilde völlig in concreto dar- gestellt werden kann. Um, wie dieses zugehe, einiger- maßen begreiflich zu machen, (denn wer kann der Natur ihr Geheimnis gänzlich ablocken?) wollen wir eine psy- chologische Erklärung versuchen.
Es ist anzumerken: daß, auf eine uns gänzlich un- begreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückzurufen, sondern auch das Bild und die Ge- stalt des Gegenstandes von einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen verschiedener Arten, oder auch ein und derselben Art, reproduciren können, ja auch, wenn das Gemüth es auf Vergleichungen anlegt, allem Ver- muthen nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum Bewußtseyn, reproduciren, ein Bild gleichsam auf das andere fallen lassen, und, durch die Congruenz der meh-
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
kung in der Erſcheinung, ſich jene offenbaren. Die Nor- malidee muß ihre Elemente zur Geſtalt eines Thiers von beſonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber die groͤßte Zweckmaͤßigkeit in der Conſtruction der Ge- ſtalt, die zum allgemeinen Richtmaas der aͤſthetiſchen Beurtheilung jedes Einzelnen dieſer Species tauglich waͤre, das Bild, was gleichſam abſichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gat- tung im Ganzen, aber kein Einzelnes abgeſondert ad- aͤquat iſt, liegt doch blos in der Jdee des Beurtheilen- den, welche aber, mit ihren Proportionen, als aͤſtheti- ſche Jdee, in einem Muſterbilde voͤllig in concreto dar- geſtellt werden kann. Um, wie dieſes zugehe, einiger- maßen begreiflich zu machen, (denn wer kann der Natur ihr Geheimnis gaͤnzlich ablocken?) wollen wir eine pſy- chologiſche Erklaͤrung verſuchen.
Es iſt anzumerken: daß, auf eine uns gaͤnzlich un- begreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen fuͤr Begriffe gelegentlich, ſelbſt von langer Zeit her, zuruͤckzurufen, ſondern auch das Bild und die Ge- ſtalt des Gegenſtandes von einer unausſprechlichen Zahl von Gegenſtaͤnden verſchiedener Arten, oder auch ein und derſelben Art, reproduciren koͤnnen, ja auch, wenn das Gemuͤth es auf Vergleichungen anlegt, allem Ver- muthen nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum Bewußtſeyn, reproduciren, ein Bild gleichſam auf das andere fallen laſſen, und, durch die Congruenz der meh-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
kung in der Erſcheinung, ſich jene offenbaren. Die Nor-
malidee muß ihre Elemente zur Geſtalt eines Thiers von
beſonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber
die groͤßte Zweckmaͤßigkeit in der Conſtruction der Ge-
ſtalt, die zum allgemeinen Richtmaas der aͤſthetiſchen
Beurtheilung jedes Einzelnen dieſer Species tauglich
waͤre, das Bild, was gleichſam abſichtlich der Technik
der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gat-
tung im Ganzen, aber kein Einzelnes abgeſondert ad-
aͤquat iſt, liegt doch blos in der Jdee des Beurtheilen-
den, welche aber, mit ihren Proportionen, als aͤſtheti-
ſche Jdee, in einem Muſterbilde voͤllig in concreto dar-
geſtellt werden kann. Um, wie dieſes zugehe, einiger-
maßen begreiflich zu machen, (denn wer kann der Natur
ihr Geheimnis gaͤnzlich ablocken?) wollen wir eine pſy-
chologiſche Erklaͤrung verſuchen.
Es iſt anzumerken: daß, auf eine uns gaͤnzlich un-
begreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die
Zeichen fuͤr Begriffe gelegentlich, ſelbſt von langer Zeit
her, zuruͤckzurufen, ſondern auch das Bild und die Ge-
ſtalt des Gegenſtandes von einer unausſprechlichen Zahl
von Gegenſtaͤnden verſchiedener Arten, oder auch ein
und derſelben Art, reproduciren koͤnnen, ja auch, wenn
das Gemuͤth es auf Vergleichungen anlegt, allem Ver-
muthen nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum
Bewußtſeyn, reproduciren, ein Bild gleichſam auf das
andere fallen laſſen, und, durch die Congruenz der meh-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/120>, abgerufen am 26.06.2024.
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