z. B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Cirkel stehen und ich mir da- bey nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländli- chen Tanze dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Be- grif von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird. Eine formale objective Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begrif von dem wozu zusam- mengestimmt wird) sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch.
Nun ist das Geschmacksurtheil ein ästhetisches Ur- theil, d. i. ein solches, was auf subjectiven Gründen beruht und dessen Bestimmungsgrund kein Begrif, mit- hin auch nicht der eines bestimmten Zwecks seyn kann. Also wird durch die Schönheit, als formalen subjectiven Zweckmäßigkeit, keinesweges eine Vollkommenheit des Gegenstandes, als vorgeblich-formale gleichwohl aber doch objective Zweckmäßigkeit gedacht, und der Unter- schied der zwischen den Begriffen des Schönen und Gu- ten, als ob beyde nur der logischen Form nach unterschie- den, die erste blos ein verworrener, die zweyte ein deut- licher Begrif der Vollkommenheit, sonst aber dem Jn- halte und Ursprunge nach einerley wären, ist nichtig; weil alsdenn zwischen ihnen kein specifischer Unter- schied, sondern ein Geschmacksurtheil eben so wohl ein Erkenntnisurtheil wäre, als das Urtheil, wodurch et- was für gut erklärt wird, so wie etwa der gemeine Mann,
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
z. B., wenn ich im Walde einen Raſenplatz antreffe, um welchen die Baͤume im Cirkel ſtehen und ich mir da- bey nicht einen Zweck, naͤmlich daß er etwa zum laͤndli- chen Tanze dienen ſolle, vorſtelle, nicht der mindeſte Be- grif von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird. Eine formale objective Zweckmaͤßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begrif von dem wozu zuſam- mengeſtimmt wird) ſich vorzuſtellen, iſt ein wahrer Widerſpruch.
Nun iſt das Geſchmacksurtheil ein aͤſthetiſches Ur- theil, d. i. ein ſolches, was auf ſubjectiven Gruͤnden beruht und deſſen Beſtimmungsgrund kein Begrif, mit- hin auch nicht der eines beſtimmten Zwecks ſeyn kann. Alſo wird durch die Schoͤnheit, als formalen ſubjectiven Zweckmaͤßigkeit, keinesweges eine Vollkommenheit des Gegenſtandes, als vorgeblich-formale gleichwohl aber doch objective Zweckmaͤßigkeit gedacht, und der Unter- ſchied der zwiſchen den Begriffen des Schoͤnen und Gu- ten, als ob beyde nur der logiſchen Form nach unterſchie- den, die erſte blos ein verworrener, die zweyte ein deut- licher Begrif der Vollkommenheit, ſonſt aber dem Jn- halte und Urſprunge nach einerley waͤren, iſt nichtig; weil alsdenn zwiſchen ihnen kein ſpecifiſcher Unter- ſchied, ſondern ein Geſchmacksurtheil eben ſo wohl ein Erkenntnisurtheil waͤre, als das Urtheil, wodurch et- was fuͤr gut erklaͤrt wird, ſo wie etwa der gemeine Mann,
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
z. B., wenn ich im Walde einen Raſenplatz antreffe,
um welchen die Baͤume im Cirkel ſtehen und ich mir da-
bey nicht einen Zweck, naͤmlich daß er etwa zum laͤndli-
chen Tanze dienen ſolle, vorſtelle, nicht der mindeſte Be-
grif von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben
wird. Eine formale objective Zweckmaͤßigkeit aber ohne
Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit
(ohne alle Materie und Begrif von dem wozu zuſam-
mengeſtimmt wird) ſich vorzuſtellen, iſt ein wahrer
Widerſpruch.
Nun iſt das Geſchmacksurtheil ein aͤſthetiſches Ur-
theil, d. i. ein ſolches, was auf ſubjectiven Gruͤnden
beruht und deſſen Beſtimmungsgrund kein Begrif, mit-
hin auch nicht der eines beſtimmten Zwecks ſeyn kann.
Alſo wird durch die Schoͤnheit, als formalen ſubjectiven
Zweckmaͤßigkeit, keinesweges eine Vollkommenheit des
Gegenſtandes, als vorgeblich-formale gleichwohl aber
doch objective Zweckmaͤßigkeit gedacht, und der Unter-
ſchied der zwiſchen den Begriffen des Schoͤnen und Gu-
ten, als ob beyde nur der logiſchen Form nach unterſchie-
den, die erſte blos ein verworrener, die zweyte ein deut-
licher Begrif der Vollkommenheit, ſonſt aber dem Jn-
halte und Urſprunge nach einerley waͤren, iſt nichtig;
weil alsdenn zwiſchen ihnen kein ſpecifiſcher Unter-
ſchied, ſondern ein Geſchmacksurtheil eben ſo wohl ein
Erkenntnisurtheil waͤre, als das Urtheil, wodurch et-
was fuͤr gut erklaͤrt wird, ſo wie etwa der gemeine Mann,
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/110>, abgerufen am 25.11.2024.
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