Wahrheit: weiter aber kan die Logik nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trift, kan die Logik durch keinen Probierstein entdecken.
Die allgemeine Logik löset nun das ganze formale Geschäfte des Verstandes und der Vernunft in seine Ele- mente auf, und stellet sie als Principien aller logischen Be- urtheilung unserer Erkentniß dar. Dieser Theil der Lo- gik kan daher Analytik heissen, und ist eben darum der, wenigstens negative Probierstein der Wahrheit, indem man zuvörderst alle Erkentniß, ihrer Form nach, an diesen Regeln prüfen und schätzen muß, ehe man sie selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie in An- sehung des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten. Weil aber die blosse Form des Erkentnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übereinstimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (obiective) Wahrheit dem Erkentnisse darum auszumachen, so kan sich Niemand blos mit der Logik wagen, über Gegenstände zu urtheilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung ausser der Logik eingezogen zu haben, um hernach blos die Benutzung und die Verknüpfung derselben in einem zusammenhangenden Ganzen nach logischen Ge- setzen zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich darnach zu prüfen. Gleichwol liegt so etwas verleitendes in dem Besitze einer so scheinbarer Kunst, allen unseren Erkentnissen die Form des Verstandes zu geben, ob man gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr leer und
arm
Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik.
Wahrheit: weiter aber kan die Logik nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, ſondern den Inhalt trift, kan die Logik durch keinen Probierſtein entdecken.
Die allgemeine Logik loͤſet nun das ganze formale Geſchaͤfte des Verſtandes und der Vernunft in ſeine Ele- mente auf, und ſtellet ſie als Principien aller logiſchen Be- urtheilung unſerer Erkentniß dar. Dieſer Theil der Lo- gik kan daher Analytik heiſſen, und iſt eben darum der, wenigſtens negative Probierſtein der Wahrheit, indem man zuvoͤrderſt alle Erkentniß, ihrer Form nach, an dieſen Regeln pruͤfen und ſchaͤtzen muß, ehe man ſie ſelbſt ihrem Inhalt nach unterſucht, um auszumachen, ob ſie in An- ſehung des Gegenſtandes poſitive Wahrheit enthalten. Weil aber die bloſſe Form des Erkentniſſes, ſo ſehr ſie auch mit logiſchen Geſetzen uͤbereinſtimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (obiective) Wahrheit dem Erkentniſſe darum auszumachen, ſo kan ſich Niemand blos mit der Logik wagen, uͤber Gegenſtaͤnde zu urtheilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegruͤndete Erkundigung auſſer der Logik eingezogen zu haben, um hernach blos die Benutzung und die Verknuͤpfung derſelben in einem zuſammenhangenden Ganzen nach logiſchen Ge- ſetzen zu verſuchen, noch beſſer aber, ſie lediglich darnach zu pruͤfen. Gleichwol liegt ſo etwas verleitendes in dem Beſitze einer ſo ſcheinbarer Kunſt, allen unſeren Erkentniſſen die Form des Verſtandes zu geben, ob man gleich in Anſehung des Inhalts derſelben noch ſehr leer und
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Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik.
Wahrheit: weiter aber kan die Logik nicht gehen, und den
Irrthum, der nicht die Form, ſondern den Inhalt trift,
kan die Logik durch keinen Probierſtein entdecken.
Die allgemeine Logik loͤſet nun das ganze formale
Geſchaͤfte des Verſtandes und der Vernunft in ſeine Ele-
mente auf, und ſtellet ſie als Principien aller logiſchen Be-
urtheilung unſerer Erkentniß dar. Dieſer Theil der Lo-
gik kan daher Analytik heiſſen, und iſt eben darum der,
wenigſtens negative Probierſtein der Wahrheit, indem man
zuvoͤrderſt alle Erkentniß, ihrer Form nach, an dieſen
Regeln pruͤfen und ſchaͤtzen muß, ehe man ſie ſelbſt ihrem
Inhalt nach unterſucht, um auszumachen, ob ſie in An-
ſehung des Gegenſtandes poſitive Wahrheit enthalten. Weil
aber die bloſſe Form des Erkentniſſes, ſo ſehr ſie auch mit
logiſchen Geſetzen uͤbereinſtimmen mag, noch lange nicht
hinreicht, materielle (obiective) Wahrheit dem Erkentniſſe
darum auszumachen, ſo kan ſich Niemand blos mit der
Logik wagen, uͤber Gegenſtaͤnde zu urtheilen, und irgend
etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegruͤndete
Erkundigung auſſer der Logik eingezogen zu haben, um
hernach blos die Benutzung und die Verknuͤpfung derſelben
in einem zuſammenhangenden Ganzen nach logiſchen Ge-
ſetzen zu verſuchen, noch beſſer aber, ſie lediglich darnach
zu pruͤfen. Gleichwol liegt ſo etwas verleitendes in
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Erkentniſſen die Form des Verſtandes zu geben, ob man
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/90>, abgerufen am 27.11.2024.
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