zen möglicher Erfahrung liegen), eben so evident beweisen, als irgend einen mathematischen Lehrsatz.
3. In Ansehung der Methode. Wenn man et- was Methode nennen soll, so muß es ein Verfahren nach Grundsätzen seyn. Nun kan man die iezt in diesem Fache der Nachforschung herrschende Methode in die naturalisti- sche und scientifische eintheilen. Der Naturalist der rei- nen Vernunft nimt es sich zum Grundsatze: daß durch ge- meine Vernunft ohne Wissenschaft (welche er die gesunde Vernunft nent), sich in Ansehung der erhabensten Fragen, die die Aufgabe der Metaphysik ausmachen, mehr ausrich- ten lasse, als durch Speculation. Er behauptet also: daß man die Grösse und Weite des Mondes sicherer nach dem Augenmaasse, als durch mathematische Umschweife bestimmen könne. Es ist blosse Misologie auf Grundsätze gebracht und, welches das ungereimteste ist, die Vernach- lässigung aller künstlichen Mittel als eine eigene Methode angerühmt, seine, Erkentniß zu erweitern. Denn was die Naturalisten aus Mangel mehrer Einsicht betrift, so kan man ihnen mit Grunde nichts zur Last legen. Sie folgen der gemeinen Vernunft, ohne sich ihrer Unwissen- heit als einer Methode zu rühmen, die das Geheimniß enthalten solle, die Wahrheit aus Democrits tiefen Brun- nen heraus zu hohlen. Quod sapio satis est mihi, non ego curo, esse quod Arcesilas aerumnosique Solones, Pers. ist ihr Wahlspruch, bey dem sie vergnügt und beifalls-
würdig
Die Geſchichte der reinen Vernunft.
zen moͤglicher Erfahrung liegen), eben ſo evident beweiſen, als irgend einen mathematiſchen Lehrſatz.
3. In Anſehung der Methode. Wenn man et- was Methode nennen ſoll, ſo muß es ein Verfahren nach Grundſaͤtzen ſeyn. Nun kan man die iezt in dieſem Fache der Nachforſchung herrſchende Methode in die naturaliſti- ſche und ſcientifiſche eintheilen. Der Naturaliſt der rei- nen Vernunft nimt es ſich zum Grundſatze: daß durch ge- meine Vernunft ohne Wiſſenſchaft (welche er die geſunde Vernunft nent), ſich in Anſehung der erhabenſten Fragen, die die Aufgabe der Metaphyſik ausmachen, mehr ausrich- ten laſſe, als durch Speculation. Er behauptet alſo: daß man die Groͤſſe und Weite des Mondes ſicherer nach dem Augenmaaſſe, als durch mathematiſche Umſchweife beſtimmen koͤnne. Es iſt bloſſe Miſologie auf Grundſaͤtze gebracht und, welches das ungereimteſte iſt, die Vernach- laͤſſigung aller kuͤnſtlichen Mittel als eine eigene Methode angeruͤhmt, ſeine, Erkentniß zu erweitern. Denn was die Naturaliſten aus Mangel mehrer Einſicht betrift, ſo kan man ihnen mit Grunde nichts zur Laſt legen. Sie folgen der gemeinen Vernunft, ohne ſich ihrer Unwiſſen- heit als einer Methode zu ruͤhmen, die das Geheimniß enthalten ſolle, die Wahrheit aus Democrits tiefen Brun- nen heraus zu hohlen. Quod ſapio ſatis eſt mihi, non ego curo, eſſe quod Arceſilas aerumnoſique Solones, Perſ. iſt ihr Wahlſpruch, bey dem ſie vergnuͤgt und beifalls-
wuͤrdig
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Die Geſchichte der reinen Vernunft.
zen moͤglicher Erfahrung liegen), eben ſo evident beweiſen,
als irgend einen mathematiſchen Lehrſatz.
3. In Anſehung der Methode. Wenn man et-
was Methode nennen ſoll, ſo muß es ein Verfahren nach
Grundſaͤtzen ſeyn. Nun kan man die iezt in dieſem Fache
der Nachforſchung herrſchende Methode in die naturaliſti-
ſche und ſcientifiſche eintheilen. Der Naturaliſt der rei-
nen Vernunft nimt es ſich zum Grundſatze: daß durch ge-
meine Vernunft ohne Wiſſenſchaft (welche er die geſunde
Vernunft nent), ſich in Anſehung der erhabenſten Fragen,
die die Aufgabe der Metaphyſik ausmachen, mehr ausrich-
ten laſſe, als durch Speculation. Er behauptet alſo:
daß man die Groͤſſe und Weite des Mondes ſicherer nach
dem Augenmaaſſe, als durch mathematiſche Umſchweife
beſtimmen koͤnne. Es iſt bloſſe Miſologie auf Grundſaͤtze
gebracht und, welches das ungereimteſte iſt, die Vernach-
laͤſſigung aller kuͤnſtlichen Mittel als eine eigene Methode
angeruͤhmt, ſeine, Erkentniß zu erweitern. Denn
was die Naturaliſten aus Mangel mehrer Einſicht betrift,
ſo kan man ihnen mit Grunde nichts zur Laſt legen. Sie
folgen der gemeinen Vernunft, ohne ſich ihrer Unwiſſen-
heit als einer Methode zu ruͤhmen, die das Geheimniß
enthalten ſolle, die Wahrheit aus Democrits tiefen Brun-
nen heraus zu hohlen. Quod ſapio ſatis eſt mihi, non
ego curo, eſſe quod Arceſilas aerumnoſique Solones,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 855. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/885>, abgerufen am 26.11.2024.
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