Welt glücklich zu seyn, als den guten Lebenswandel. Da- her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder besser, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver- nunftforschungen, denen man sich nachher iederzeit gewid- met hat. Die erstere war indessen eigentlich das, was die blos speculative Vernunft nach und nach in das Geschäfte zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta- physik so berühmt geworden.
Ich will iezt die Zeiten nicht unterscheiden, auf wel- che diese oder iene Veränderung der Metaphysik traf, son- dern nur die Verschiedenheit der Idee, welche die haupt- sächlichste Revolutionen veranlaßte, in einem flüchtigen Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache Absicht, in welcher die nahmhafteste Veränderungen auf dieser Büh- ne des Streits gestiftet worden.
1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer Vernunfterkentnisse, waren einige blos Sensual- andere blos Intellectualphilosophen. Epikur kan der vornehm- ste Philosoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieser Unterschied der Schulen aber, so subtil er auch ist, hatte schon in den frühesten Zeiten an- gefangen und hat sich lange ununterbrochen erhalten. Die von der ersteren behaupteten: in den Gegenständen der Sinne sey allein Wirklichkeit, alles übrige sey Einbildung; die von der zweiten sagten dagegen: in den Sinnen ist
nichts
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Die Geſchichte der reinen Vernunft.
Welt gluͤcklich zu ſeyn, als den guten Lebenswandel. Da- her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder beſſer, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver- nunftforſchungen, denen man ſich nachher iederzeit gewid- met hat. Die erſtere war indeſſen eigentlich das, was die blos ſpeculative Vernunft nach und nach in das Geſchaͤfte zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta- phyſik ſo beruͤhmt geworden.
Ich will iezt die Zeiten nicht unterſcheiden, auf wel- che dieſe oder iene Veraͤnderung der Metaphyſik traf, ſon- dern nur die Verſchiedenheit der Idee, welche die haupt- ſaͤchlichſte Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen Abriſſe darſtellen. Und da finde ich eine dreifache Abſicht, in welcher die nahmhafteſte Veraͤnderungen auf dieſer Buͤh- ne des Streits geſtiftet worden.
1. In Anſehung des Gegenſtandes aller unſerer Vernunfterkentniſſe, waren einige blos Senſual- andere blos Intellectualphiloſophen. Epikur kan der vornehm- ſte Philoſoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieſer Unterſchied der Schulen aber, ſo ſubtil er auch iſt, hatte ſchon in den fruͤheſten Zeiten an- gefangen und hat ſich lange ununterbrochen erhalten. Die von der erſteren behaupteten: in den Gegenſtaͤnden der Sinne ſey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige ſey Einbildung; die von der zweiten ſagten dagegen: in den Sinnen iſt
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Die Geſchichte der reinen Vernunft.
Welt gluͤcklich zu ſeyn, als den guten Lebenswandel. Da-
her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern,
oder beſſer, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver-
nunftforſchungen, denen man ſich nachher iederzeit gewid-
met hat. Die erſtere war indeſſen eigentlich das, was die
blos ſpeculative Vernunft nach und nach in das Geſchaͤfte
zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta-
phyſik ſo beruͤhmt geworden.
Ich will iezt die Zeiten nicht unterſcheiden, auf wel-
che dieſe oder iene Veraͤnderung der Metaphyſik traf, ſon-
dern nur die Verſchiedenheit der Idee, welche die haupt-
ſaͤchlichſte Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen
Abriſſe darſtellen. Und da finde ich eine dreifache Abſicht,
in welcher die nahmhafteſte Veraͤnderungen auf dieſer Buͤh-
ne des Streits geſtiftet worden.
1. In Anſehung des Gegenſtandes aller unſerer
Vernunfterkentniſſe, waren einige blos Senſual- andere
blos Intellectualphiloſophen. Epikur kan der vornehm-
ſte Philoſoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen
genant werden. Dieſer Unterſchied der Schulen aber, ſo
ſubtil er auch iſt, hatte ſchon in den fruͤheſten Zeiten an-
gefangen und hat ſich lange ununterbrochen erhalten. Die
von der erſteren behaupteten: in den Gegenſtaͤnden der
Sinne ſey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige ſey Einbildung;
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 853. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/883>, abgerufen am 26.11.2024.
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