ge zu erkennen und zu einer rationalen Physiologie zu ge- langen? Die Antwort ist: wir nehmen aus der Erfah- rung nichts weiter, als was nöthig ist, uns ein Obiect, theils des äusseren, theils des inneren Sinnes zu geben. Jenes geschieht durch den blossen Begriff Materie, (undurch- dringliche leblose Ausdehnung) dieses durch den Begriff eines denkenden Wesens (in der empirischen inneren Vor- stellung: Ich denke). Uebrigens müsten wir in der gan- zen Metaphysik dieser Gegenstände, uns aller empirischen Principien gänzlich enthalten, die über den Begriff, noch irgend eine Erfahrung hinzusetzen möchten, um etwas über diese Gegenstände daraus zu urtheilen.
Zweitens: wo bleibt denn die empirische Psycho- logie, welche von ieher ihren Platz in der Metaphysik be- hauptet hat und von welcher man in unseren Zeiten so gar grosse Dinge zu Aufklärung derselben erwartet hat, nach- dem man die Hoffnung aufgab, etwas taugliches a priori auszurichten? Ich antworte: sie komt dahin, wo die eigentliche (empirische) Naturlehre hingestellt werden muß, nemlich auf die Seite der angewandten Philosophie, zu welcher die reine Philosophie die Principien a priori ent- hält, die also mit iener zwar verbunden, aber nicht vermischt werden muß. Also muß empirische Psychologie aus der Metaphysik gänzlich verbannet seyn, und ist schon durch die Idee derselben davon gänzlich ausgeschlossen. Gleichwol wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch noch immer (obzwar nur als Episode) ein Plätzchen darin
ver-
Methodenlehre III. Hauptſt.
ge zu erkennen und zu einer rationalen Phyſiologie zu ge- langen? Die Antwort iſt: wir nehmen aus der Erfah- rung nichts weiter, als was noͤthig iſt, uns ein Obiect, theils des aͤuſſeren, theils des inneren Sinnes zu geben. Jenes geſchieht durch den bloſſen Begriff Materie, (undurch- dringliche lebloſe Ausdehnung) dieſes durch den Begriff eines denkenden Weſens (in der empiriſchen inneren Vor- ſtellung: Ich denke). Uebrigens muͤſten wir in der gan- zen Metaphyſik dieſer Gegenſtaͤnde, uns aller empiriſchen Principien gaͤnzlich enthalten, die uͤber den Begriff, noch irgend eine Erfahrung hinzuſetzen moͤchten, um etwas uͤber dieſe Gegenſtaͤnde daraus zu urtheilen.
Zweitens: wo bleibt denn die empiriſche Pſycho- logie, welche von ieher ihren Platz in der Metaphyſik be- hauptet hat und von welcher man in unſeren Zeiten ſo gar groſſe Dinge zu Aufklaͤrung derſelben erwartet hat, nach- dem man die Hoffnung aufgab, etwas taugliches a priori auszurichten? Ich antworte: ſie komt dahin, wo die eigentliche (empiriſche) Naturlehre hingeſtellt werden muß, nemlich auf die Seite der angewandten Philoſophie, zu welcher die reine Philoſophie die Principien a priori ent- haͤlt, die alſo mit iener zwar verbunden, aber nicht vermiſcht werden muß. Alſo muß empiriſche Pſychologie aus der Metaphyſik gaͤnzlich verbannet ſeyn, und iſt ſchon durch die Idee derſelben davon gaͤnzlich ausgeſchloſſen. Gleichwol wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch noch immer (obzwar nur als Epiſode) ein Plaͤtzchen darin
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Methodenlehre III. Hauptſt.
ge zu erkennen und zu einer rationalen Phyſiologie zu ge-
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rung nichts weiter, als was noͤthig iſt, uns ein Obiect,
theils des aͤuſſeren, theils des inneren Sinnes zu geben.
Jenes geſchieht durch den bloſſen Begriff Materie, (undurch-
dringliche lebloſe Ausdehnung) dieſes durch den Begriff
eines denkenden Weſens (in der empiriſchen inneren Vor-
ſtellung: Ich denke). Uebrigens muͤſten wir in der gan-
zen Metaphyſik dieſer Gegenſtaͤnde, uns aller empiriſchen
Principien gaͤnzlich enthalten, die uͤber den Begriff, noch
irgend eine Erfahrung hinzuſetzen moͤchten, um etwas
uͤber dieſe Gegenſtaͤnde daraus zu urtheilen.
Zweitens: wo bleibt denn die empiriſche Pſycho-
logie, welche von ieher ihren Platz in der Metaphyſik be-
hauptet hat und von welcher man in unſeren Zeiten ſo gar
groſſe Dinge zu Aufklaͤrung derſelben erwartet hat, nach-
dem man die Hoffnung aufgab, etwas taugliches a priori
auszurichten? Ich antworte: ſie komt dahin, wo die
eigentliche (empiriſche) Naturlehre hingeſtellt werden muß,
nemlich auf die Seite der angewandten Philoſophie, zu
welcher die reine Philoſophie die Principien a priori ent-
haͤlt, die alſo mit iener zwar verbunden, aber nicht
vermiſcht werden muß. Alſo muß empiriſche Pſychologie
aus der Metaphyſik gaͤnzlich verbannet ſeyn, und iſt ſchon
durch die Idee derſelben davon gaͤnzlich ausgeſchloſſen.
Gleichwol wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch
noch immer (obzwar nur als Epiſode) ein Plaͤtzchen darin
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 848. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/878>, abgerufen am 25.11.2024.
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