Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch.

Nun müssen wir gestehen: daß die Lehre vom Da-
seyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehöre. Denn, ob
ich gleich in Ansehung der theoretischen Weltkentniß nichts
zu verfügen habe, was diesen Gedanken, als Bedingung
meiner Erklärungen der Erscheinungen der Welt, noth-
wendig voraussetze, sondern vielmehr verbunden bin, mei-
ner Vernunft mich so zu bedienen, als ob alles blos Na-
tur sey, so ist doch die zweckmässige Einheit eine so grosse
Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß
ich, da mir überdem Erfahrung reichlich davon Beispiele
darbietet, sie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieser Ein-
heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die sie mir
zum Leitfaden der Naturforschung machte, als wenn ich
voraussetze: daß eine höchste Intelligenz alles nach den
weisesten Zwecken so geordnet habe. Folglich ist es eine
Bedingung einer zwar zufälligen, aber doch nicht uner-
heblichen Absicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor-
schung der Natur zu haben, einen weisen Welturheber
vorauszusetzen. Der Ausgang meiner Versuche bestätigt
auch so oft die Brauchbarkeit dieser Voraussetzung und
nichts kan auf entscheidende Art dawider angeführt werden;
daß ich viel zu wenig sage, wenn ich mein Vorwahrhalten
blos ein Meinen nennen wolte, sondern es kan selbst in
diesem theoretischen Verhältnisse gesagt werden: daß ich
festiglich einen Gott glaube, aber alsdenn ist dieser Glau-
be in strenger Bedeutung dennoch nicht practisch, sondern
muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die

Theo-
Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch.

Nun muͤſſen wir geſtehen: daß die Lehre vom Da-
ſeyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob
ich gleich in Anſehung der theoretiſchen Weltkentniß nichts
zu verfuͤgen habe, was dieſen Gedanken, als Bedingung
meiner Erklaͤrungen der Erſcheinungen der Welt, noth-
wendig vorausſetze, ſondern vielmehr verbunden bin, mei-
ner Vernunft mich ſo zu bedienen, als ob alles blos Na-
tur ſey, ſo iſt doch die zweckmaͤſſige Einheit eine ſo groſſe
Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß
ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beiſpiele
darbietet, ſie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieſer Ein-
heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die ſie mir
zum Leitfaden der Naturforſchung machte, als wenn ich
vorausſetze: daß eine hoͤchſte Intelligenz alles nach den
weiſeſten Zwecken ſo geordnet habe. Folglich iſt es eine
Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner-
heblichen Abſicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor-
ſchung der Natur zu haben, einen weiſen Welturheber
vorauszuſetzen. Der Ausgang meiner Verſuche beſtaͤtigt
auch ſo oft die Brauchbarkeit dieſer Vorausſetzung und
nichts kan auf entſcheidende Art dawider angefuͤhrt werden;
daß ich viel zu wenig ſage, wenn ich mein Vorwahrhalten
blos ein Meinen nennen wolte, ſondern es kan ſelbſt in
dieſem theoretiſchen Verhaͤltniſſe geſagt werden: daß ich
feſtiglich einen Gott glaube, aber alsdenn iſt dieſer Glau-
be in ſtrenger Bedeutung dennoch nicht practiſch, ſondern
muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die

Theo-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0856" n="826"/>
            <fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
            <p>Nun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir ge&#x017F;tehen: daß die Lehre vom Da-<lb/>
&#x017F;eyn Gottes zum doctrinalen Glauben geho&#x0364;re. Denn, ob<lb/>
ich gleich in An&#x017F;ehung der theoreti&#x017F;chen Weltkentniß nichts<lb/>
zu <hi rendition="#fr">verfu&#x0364;gen</hi> habe, was die&#x017F;en Gedanken, als Bedingung<lb/>
meiner Erkla&#x0364;rungen der Er&#x017F;cheinungen der Welt, noth-<lb/>
wendig voraus&#x017F;etze, &#x017F;ondern vielmehr verbunden bin, mei-<lb/>
ner Vernunft mich &#x017F;o zu bedienen, als ob alles blos Na-<lb/>
tur &#x017F;ey, &#x017F;o i&#x017F;t doch die zweckma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Einheit eine &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß<lb/>
ich, da mir u&#x0364;berdem Erfahrung reichlich davon Bei&#x017F;piele<lb/>
darbietet, &#x017F;ie gar nicht vorbey gehen kan. Zu die&#x017F;er Ein-<lb/>
heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die &#x017F;ie mir<lb/>
zum Leitfaden der Naturfor&#x017F;chung machte, als wenn ich<lb/>
voraus&#x017F;etze: daß eine ho&#x0364;ch&#x017F;te Intelligenz alles nach den<lb/>
wei&#x017F;e&#x017F;ten Zwecken &#x017F;o geordnet habe. Folglich i&#x017F;t es eine<lb/>
Bedingung einer zwar zufa&#x0364;lligen, aber doch nicht uner-<lb/>
heblichen Ab&#x017F;icht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor-<lb/>
&#x017F;chung der Natur zu haben, einen wei&#x017F;en Welturheber<lb/>
vorauszu&#x017F;etzen. Der Ausgang meiner Ver&#x017F;uche be&#x017F;ta&#x0364;tigt<lb/>
auch &#x017F;o oft die Brauchbarkeit die&#x017F;er Voraus&#x017F;etzung und<lb/>
nichts kan auf ent&#x017F;cheidende Art dawider angefu&#x0364;hrt werden;<lb/>
daß ich viel zu wenig &#x017F;age, wenn ich mein Vorwahrhalten<lb/>
blos ein Meinen nennen wolte, &#x017F;ondern es kan &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;em theoreti&#x017F;chen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;agt werden: daß ich<lb/>
fe&#x017F;tiglich einen Gott glaube, aber alsdenn i&#x017F;t die&#x017F;er Glau-<lb/>
be in &#x017F;trenger Bedeutung dennoch nicht practi&#x017F;ch, &#x017F;ondern<lb/>
muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Theo-</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[826/0856] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. Nun muͤſſen wir geſtehen: daß die Lehre vom Da- ſeyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob ich gleich in Anſehung der theoretiſchen Weltkentniß nichts zu verfuͤgen habe, was dieſen Gedanken, als Bedingung meiner Erklaͤrungen der Erſcheinungen der Welt, noth- wendig vorausſetze, ſondern vielmehr verbunden bin, mei- ner Vernunft mich ſo zu bedienen, als ob alles blos Na- tur ſey, ſo iſt doch die zweckmaͤſſige Einheit eine ſo groſſe Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beiſpiele darbietet, ſie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieſer Ein- heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die ſie mir zum Leitfaden der Naturforſchung machte, als wenn ich vorausſetze: daß eine hoͤchſte Intelligenz alles nach den weiſeſten Zwecken ſo geordnet habe. Folglich iſt es eine Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner- heblichen Abſicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor- ſchung der Natur zu haben, einen weiſen Welturheber vorauszuſetzen. Der Ausgang meiner Verſuche beſtaͤtigt auch ſo oft die Brauchbarkeit dieſer Vorausſetzung und nichts kan auf entſcheidende Art dawider angefuͤhrt werden; daß ich viel zu wenig ſage, wenn ich mein Vorwahrhalten blos ein Meinen nennen wolte, ſondern es kan ſelbſt in dieſem theoretiſchen Verhaͤltniſſe geſagt werden: daß ich feſtiglich einen Gott glaube, aber alsdenn iſt dieſer Glau- be in ſtrenger Bedeutung dennoch nicht practiſch, ſondern muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die Theo-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/856
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 826. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/856>, abgerufen am 23.11.2024.