che blos die nothwendige sittliche Gesetze eines freyen Wil- lens überhaupt enthält, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche diese Gesetze unter den Hindernissen der Gefühle, Neigungen und Leidenschaften, denen die Menschen mehr oder weniger unterworfen sind, erwägt, und welche nie- mals eine wahre und demonstrirte Wissenschaft abgeben kan, weil sie eben sowol als iene angewandte Logik empi- rische und psychologische Principien bedarf.
II. Von der Transscendentalen Logik.
Die allgemeine Logik abstrahirt, wie wir gewiesen, von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung derselben auf das Obiect und betrachtet nur die logische Form im Verhältnisse der Erkentnisse auf einander, d. i. die Form des Denkens überhaupt. Weil es nun aber so wol reine, als empirische Anschauungen giebt, (wie die trans- scendentale Aesthetik darthut), so könte auch wol ein Un- terschied zwischen reinem und empirischem Denken der Gegenstände angetroffen werden. In diesem Falle würde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkentniß abstrahirte; denn dieienige, welche blos die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes enthiel- te, würde alle dieienige Erkentnisse ausschliessen, welche von empirischem Inhalte wären. Sie würde auch auf den Ursprung unserer Erkentnisse von Gegenständen gehen,
so
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Einleitung.
che blos die nothwendige ſittliche Geſetze eines freyen Wil- lens uͤberhaupt enthaͤlt, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche dieſe Geſetze unter den Hinderniſſen der Gefuͤhle, Neigungen und Leidenſchaften, denen die Menſchen mehr oder weniger unterworfen ſind, erwaͤgt, und welche nie- mals eine wahre und demonſtrirte Wiſſenſchaft abgeben kan, weil ſie eben ſowol als iene angewandte Logik empi- riſche und pſychologiſche Principien bedarf.
II. Von der Transſcendentalen Logik.
Die allgemeine Logik abſtrahirt, wie wir gewieſen, von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung derſelben auf das Obiect und betrachtet nur die logiſche Form im Verhaͤltniſſe der Erkentniſſe auf einander, d. i. die Form des Denkens uͤberhaupt. Weil es nun aber ſo wol reine, als empiriſche Anſchauungen giebt, (wie die trans- ſcendentale Aeſthetik darthut), ſo koͤnte auch wol ein Un- terſchied zwiſchen reinem und empiriſchem Denken der Gegenſtaͤnde angetroffen werden. In dieſem Falle wuͤrde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkentniß abſtrahirte; denn dieienige, welche blos die Regeln des reinen Denkens eines Gegenſtandes enthiel- te, wuͤrde alle dieienige Erkentniſſe ausſchlieſſen, welche von empiriſchem Inhalte waͤren. Sie wuͤrde auch auf den Urſprung unſerer Erkentniſſe von Gegenſtaͤnden gehen,
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Einleitung.
che blos die nothwendige ſittliche Geſetze eines freyen Wil-
lens uͤberhaupt enthaͤlt, zu der eigentlichen Tugendlehre,
welche dieſe Geſetze unter den Hinderniſſen der Gefuͤhle,
Neigungen und Leidenſchaften, denen die Menſchen mehr
oder weniger unterworfen ſind, erwaͤgt, und welche nie-
mals eine wahre und demonſtrirte Wiſſenſchaft abgeben
kan, weil ſie eben ſowol als iene angewandte Logik empi-
riſche und pſychologiſche Principien bedarf.
II.
Von der
Transſcendentalen Logik.
Die allgemeine Logik abſtrahirt, wie wir gewieſen,
von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung
derſelben auf das Obiect und betrachtet nur die logiſche
Form im Verhaͤltniſſe der Erkentniſſe auf einander, d. i.
die Form des Denkens uͤberhaupt. Weil es nun aber ſo
wol reine, als empiriſche Anſchauungen giebt, (wie die trans-
ſcendentale Aeſthetik darthut), ſo koͤnte auch wol ein Un-
terſchied zwiſchen reinem und empiriſchem Denken der
Gegenſtaͤnde angetroffen werden. In dieſem Falle wuͤrde
es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt
der Erkentniß abſtrahirte; denn dieienige, welche blos
die Regeln des reinen Denkens eines Gegenſtandes enthiel-
te, wuͤrde alle dieienige Erkentniſſe ausſchlieſſen, welche
von empiriſchem Inhalte waͤren. Sie wuͤrde auch auf
den Urſprung unſerer Erkentniſſe von Gegenſtaͤnden gehen,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/85>, abgerufen am 23.11.2024.
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