zweckmässige Einheit hingelegt hat; denn ohne diese hät- ten wir so gar selbst keine Vernunft, weil wir keine Schule vor dieselbe haben würden und keine Cultur durch Gegen- stände, welche den Stoff zu solchen Begriffen darböten. Jene zweckmässige Einheit ist aber nothwendig und in dem Wesen der Willkühr selbst gegründet, diese also, welche die Bedingung der Anwendung derselben in concreto ent- hält, muß es auch seyn, und so würde die transscenden- tale Steigerung unserer Vernunfterkentniß nicht die Ursache, sondern blos die Wirkung von der practischen Zweckmässig- keit seyn, die uns die reine Vernunft auferlegt.
Wir finden daher auch in der Geschichte der menschli- chen Vernunft: daß, ehe die moralische Begriffe gnugsam gereinigt, bestimt und die systematische Einheit der Zwecke nach denselben und zwar aus nothwendigen Principien ein- gesehen waren, die Kentniß der Natur und selbst ein an- sehnlicher Grad der Cultur der Vernunft in manchen an- deren Wissenschaften, theils nur rohe und umherschweifen- de Begriffe von der Gottheit hervorbringen konte, theils eine zu bewundernde Gleichgültigkeit überhaupt in Anse- hung dieser Frage übrig ließ. Eine grössere Bearbeitung sittlicher Ideen, die durch das äusserstreine Sittengesetz un- serer Religion nothwendig gemacht wurde, schärfte die Vernunft auf den Gegenstand, durch das Interesse, was sie an demselben zu nehmen nöthigte und, ohne daß weder erweiterte Naturkentnisse, noch richtige und zuverlässige transscendentale Einsichten (dergleichen zu aller Zeit ge-
mangelt
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Vom Ideal des hoͤchſten Guts.
zweckmaͤſſige Einheit hingelegt hat; denn ohne dieſe haͤt- ten wir ſo gar ſelbſt keine Vernunft, weil wir keine Schule vor dieſelbe haben wuͤrden und keine Cultur durch Gegen- ſtaͤnde, welche den Stoff zu ſolchen Begriffen darboͤten. Jene zweckmaͤſſige Einheit iſt aber nothwendig und in dem Weſen der Willkuͤhr ſelbſt gegruͤndet, dieſe alſo, welche die Bedingung der Anwendung derſelben in concreto ent- haͤlt, muß es auch ſeyn, und ſo wuͤrde die transſcenden- tale Steigerung unſerer Vernunfterkentniß nicht die Urſache, ſondern blos die Wirkung von der practiſchen Zweckmaͤſſig- keit ſeyn, die uns die reine Vernunft auferlegt.
Wir finden daher auch in der Geſchichte der menſchli- chen Vernunft: daß, ehe die moraliſche Begriffe gnugſam gereinigt, beſtimt und die ſyſtematiſche Einheit der Zwecke nach denſelben und zwar aus nothwendigen Principien ein- geſehen waren, die Kentniß der Natur und ſelbſt ein an- ſehnlicher Grad der Cultur der Vernunft in manchen an- deren Wiſſenſchaften, theils nur rohe und umherſchweifen- de Begriffe von der Gottheit hervorbringen konte, theils eine zu bewundernde Gleichguͤltigkeit uͤberhaupt in Anſe- hung dieſer Frage uͤbrig ließ. Eine groͤſſere Bearbeitung ſittlicher Ideen, die durch das aͤuſſerſtreine Sittengeſetz un- ſerer Religion nothwendig gemacht wurde, ſchaͤrfte die Vernunft auf den Gegenſtand, durch das Intereſſe, was ſie an demſelben zu nehmen noͤthigte und, ohne daß weder erweiterte Naturkentniſſe, noch richtige und zuverlaͤſſige transſcendentale Einſichten (dergleichen zu aller Zeit ge-
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Vom Ideal des hoͤchſten Guts.
zweckmaͤſſige Einheit hingelegt hat; denn ohne dieſe haͤt-
ten wir ſo gar ſelbſt keine Vernunft, weil wir keine Schule
vor dieſelbe haben wuͤrden und keine Cultur durch Gegen-
ſtaͤnde, welche den Stoff zu ſolchen Begriffen darboͤten.
Jene zweckmaͤſſige Einheit iſt aber nothwendig und in dem
Weſen der Willkuͤhr ſelbſt gegruͤndet, dieſe alſo, welche
die Bedingung der Anwendung derſelben in concreto ent-
haͤlt, muß es auch ſeyn, und ſo wuͤrde die transſcenden-
tale Steigerung unſerer Vernunfterkentniß nicht die Urſache,
ſondern blos die Wirkung von der practiſchen Zweckmaͤſſig-
keit ſeyn, die uns die reine Vernunft auferlegt.
Wir finden daher auch in der Geſchichte der menſchli-
chen Vernunft: daß, ehe die moraliſche Begriffe gnugſam
gereinigt, beſtimt und die ſyſtematiſche Einheit der Zwecke
nach denſelben und zwar aus nothwendigen Principien ein-
geſehen waren, die Kentniß der Natur und ſelbſt ein an-
ſehnlicher Grad der Cultur der Vernunft in manchen an-
deren Wiſſenſchaften, theils nur rohe und umherſchweifen-
de Begriffe von der Gottheit hervorbringen konte, theils
eine zu bewundernde Gleichguͤltigkeit uͤberhaupt in Anſe-
hung dieſer Frage uͤbrig ließ. Eine groͤſſere Bearbeitung
ſittlicher Ideen, die durch das aͤuſſerſtreine Sittengeſetz un-
ſerer Religion nothwendig gemacht wurde, ſchaͤrfte die
Vernunft auf den Gegenſtand, durch das Intereſſe, was
ſie an demſelben zu nehmen noͤthigte und, ohne daß weder
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 817. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/847>, abgerufen am 23.11.2024.
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