Ob aber die Vernunft selbst in diesen Handlungen, dadurch sie Gesetze vorschreibt, nicht wiederum durch an- derweitige Einflüsse bestimt sey und das, was in Absicht auf sinnliche Antriebe Freiheit leist, in Ansehung höherer und entfernetern wirkenden Ursachen nicht wiederum Na- tur seyn möge, das geht uns im Practischen, da wir nur die Vernunft um die Vorschrift des Verhaltens zunächst befragen, nichts an, sondern ist eine blos speculative Fra- ge, die wir, so lange als unsere Absicht aufs Thun oder Lassen gerichtet ist, bey Seite setzen können. Wir erkennen also die practische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen, nemlich eine Caussalität der Vernunft in Bestimmung des Willens, indessen daß die transscen- dentale Freiheit, eine Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Caussalität, eine Reihe von Erscheinun- gen anzufangen) von allen bestimmenden Ursachen der Sin- nenwelt fodert und so fern dem Naturgesetze, mithin aller möglichen Erfahrung zuwider zu seyn scheint und also ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practischen Gebrauche gehört dieses Problem nicht, also haben wir es in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen zu thun, die das practische Interesse der reinen Vernunft angehen und in Ansehung deren ein Canon ihres Gebrauchs möglich seyn muß, nemlich: ist ein Gott? ist ein künfti- ges Leben? Die Frage wegen der transscendentalen Frei- heit betrift blos das speculative Wissen, welche wir als ganz gleichgültig bey Seite setzen können, wenn es um das
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Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft.
Ob aber die Vernunft ſelbſt in dieſen Handlungen, dadurch ſie Geſetze vorſchreibt, nicht wiederum durch an- derweitige Einfluͤſſe beſtimt ſey und das, was in Abſicht auf ſinnliche Antriebe Freiheit leiſt, in Anſehung hoͤherer und entfernetern wirkenden Urſachen nicht wiederum Na- tur ſeyn moͤge, das geht uns im Practiſchen, da wir nur die Vernunft um die Vorſchrift des Verhaltens zunaͤchſt befragen, nichts an, ſondern iſt eine blos ſpeculative Fra- ge, die wir, ſo lange als unſere Abſicht aufs Thun oder Laſſen gerichtet iſt, bey Seite ſetzen koͤnnen. Wir erkennen alſo die practiſche Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Natururſachen, nemlich eine Cauſſalitaͤt der Vernunft in Beſtimmung des Willens, indeſſen daß die transſcen- dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieſer Vernunft ſelbſt (in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, eine Reihe von Erſcheinun- gen anzufangen) von allen beſtimmenden Urſachen der Sin- nenwelt fodert und ſo fern dem Naturgeſetze, mithin aller moͤglichen Erfahrung zuwider zu ſeyn ſcheint und alſo ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practiſchen Gebrauche gehoͤrt dieſes Problem nicht, alſo haben wir es in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen zu thun, die das practiſche Intereſſe der reinen Vernunft angehen und in Anſehung deren ein Canon ihres Gebrauchs moͤglich ſeyn muß, nemlich: iſt ein Gott? iſt ein kuͤnfti- ges Leben? Die Frage wegen der transſcendentalen Frei- heit betrift blos das ſpeculative Wiſſen, welche wir als ganz gleichguͤltig bey Seite ſetzen koͤnnen, wenn es um das
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Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft.
Ob aber die Vernunft ſelbſt in dieſen Handlungen,
dadurch ſie Geſetze vorſchreibt, nicht wiederum durch an-
derweitige Einfluͤſſe beſtimt ſey und das, was in Abſicht
auf ſinnliche Antriebe Freiheit leiſt, in Anſehung hoͤherer
und entfernetern wirkenden Urſachen nicht wiederum Na-
tur ſeyn moͤge, das geht uns im Practiſchen, da wir nur
die Vernunft um die Vorſchrift des Verhaltens zunaͤchſt
befragen, nichts an, ſondern iſt eine blos ſpeculative Fra-
ge, die wir, ſo lange als unſere Abſicht aufs Thun oder
Laſſen gerichtet iſt, bey Seite ſetzen koͤnnen. Wir erkennen
alſo die practiſche Freiheit durch Erfahrung, als eine von
den Natururſachen, nemlich eine Cauſſalitaͤt der Vernunft
in Beſtimmung des Willens, indeſſen daß die transſcen-
dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieſer Vernunft ſelbſt
(in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, eine Reihe von Erſcheinun-
gen anzufangen) von allen beſtimmenden Urſachen der Sin-
nenwelt fodert und ſo fern dem Naturgeſetze, mithin aller
moͤglichen Erfahrung zuwider zu ſeyn ſcheint und alſo ein
Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practiſchen
Gebrauche gehoͤrt dieſes Problem nicht, alſo haben wir es
in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen
zu thun, die das practiſche Intereſſe der reinen Vernunft
angehen und in Anſehung deren ein Canon ihres Gebrauchs
moͤglich ſeyn muß, nemlich: iſt ein Gott? iſt ein kuͤnfti-
ges Leben? Die Frage wegen der transſcendentalen Frei-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 803. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/833>, abgerufen am 24.11.2024.
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