Wichtigkeit wol eigentlich nur das Practische angehen müssen.
Practisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist. Wenn die Bedingungen der Ausübung unserer freien Will- kühr aber empirisch sind, so kan die Vernunft dabey kei- nen anderen als regulativen Gebrauch haben, und nur die Einheit empirischer Gesetze zu bewirken dienen, wie z. B. in der Lehre der Klugheit, die Vereinigung aller Zwecke, die uns von unseren Neigungen aufgegeben sind, in den einigen, die Glückseligkeit und die Zusammenstimmung der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geschäfte der Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als pragmatische Gesetze des freien Verhaltens, zu Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und also keine reine Gesetze, völlig a priori bestimt, liefern kan. Dagegen würden reine practische Gesetze deren Zweck durch die Vernunft völlig a priori gegeben ist und die nicht empi- rischbedingt, sondern schlechthin gebieten, Producte der rei- nen Vernunft seyn. Dergleichen aber sind die moralische Gesetze, mithin gehören diese allein zum practischen Gebrau- che der reinen Vernunft, und erlauben einen Canon.
Die ganze Zurüstung also der Vernunft, in der Be- arbeitung, die man reine Philosophie nennen kan, ist in der That nur auf die drey gedachte Probleme gerichtet. Diese selber aber haben wiederum ihre entferntere Absicht, nemlich, was zu thun sey, wenn der Wille frey, wenn ein Gott und eine künftige Welt ist. Da dieses nun unser
Ver-
Methodenlehre II. Hauptſt. I. Abſch.
Wichtigkeit wol eigentlich nur das Practiſche angehen muͤſſen.
Practiſch iſt alles, was durch Freiheit moͤglich iſt. Wenn die Bedingungen der Ausuͤbung unſerer freien Will- kuͤhr aber empiriſch ſind, ſo kan die Vernunft dabey kei- nen anderen als regulativen Gebrauch haben, und nur die Einheit empiriſcher Geſetze zu bewirken dienen, wie z. B. in der Lehre der Klugheit, die Vereinigung aller Zwecke, die uns von unſeren Neigungen aufgegeben ſind, in den einigen, die Gluͤckſeligkeit und die Zuſammenſtimmung der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geſchaͤfte der Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als pragmatiſche Geſetze des freien Verhaltens, zu Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und alſo keine reine Geſetze, voͤllig a priori beſtimt, liefern kan. Dagegen wuͤrden reine practiſche Geſetze deren Zweck durch die Vernunft voͤllig a priori gegeben iſt und die nicht empi- riſchbedingt, ſondern ſchlechthin gebieten, Producte der rei- nen Vernunft ſeyn. Dergleichen aber ſind die moraliſche Geſetze, mithin gehoͤren dieſe allein zum practiſchen Gebrau- che der reinen Vernunft, und erlauben einen Canon.
Die ganze Zuruͤſtung alſo der Vernunft, in der Be- arbeitung, die man reine Philoſophie nennen kan, iſt in der That nur auf die drey gedachte Probleme gerichtet. Dieſe ſelber aber haben wiederum ihre entferntere Abſicht, nemlich, was zu thun ſey, wenn der Wille frey, wenn ein Gott und eine kuͤnftige Welt iſt. Da dieſes nun unſer
Ver-
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Methodenlehre II. Hauptſt. I. Abſch.
Wichtigkeit wol eigentlich nur das Practiſche angehen
muͤſſen.
Practiſch iſt alles, was durch Freiheit moͤglich iſt.
Wenn die Bedingungen der Ausuͤbung unſerer freien Will-
kuͤhr aber empiriſch ſind, ſo kan die Vernunft dabey kei-
nen anderen als regulativen Gebrauch haben, und nur die
Einheit empiriſcher Geſetze zu bewirken dienen, wie z. B.
in der Lehre der Klugheit, die Vereinigung aller Zwecke,
die uns von unſeren Neigungen aufgegeben ſind, in den
einigen, die Gluͤckſeligkeit und die Zuſammenſtimmung
der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geſchaͤfte der
Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als
pragmatiſche Geſetze des freien Verhaltens, zu Erreichung
der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und alſo
keine reine Geſetze, voͤllig a priori beſtimt, liefern kan.
Dagegen wuͤrden reine practiſche Geſetze deren Zweck durch
die Vernunft voͤllig a priori gegeben iſt und die nicht empi-
riſchbedingt, ſondern ſchlechthin gebieten, Producte der rei-
nen Vernunft ſeyn. Dergleichen aber ſind die moraliſche
Geſetze, mithin gehoͤren dieſe allein zum practiſchen Gebrau-
che der reinen Vernunft, und erlauben einen Canon.
Die ganze Zuruͤſtung alſo der Vernunft, in der Be-
arbeitung, die man reine Philoſophie nennen kan, iſt in
der That nur auf die drey gedachte Probleme gerichtet.
Dieſe ſelber aber haben wiederum ihre entferntere Abſicht,
nemlich, was zu thun ſey, wenn der Wille frey, wenn ein
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/830>, abgerufen am 23.11.2024.
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