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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen.
des intellectuellen. Der Cörper wäre also nicht die Ursa-
che des Denkens, fondern eine blos restringirende Bedin-
gung desselben, mithin zwar als Beförderung des sinnli-
chen und animalischen, aber desto mehr auch als Hin-
derniß des reinen und spirituellen Lebens anzusehen, und
die Abhängigkeit des ersteren von der körperlichen Be-
schaffenheit bewiese nichts vor die Abhängigkeit des gan-
zen Lebens, von dem Zustande unserer Organen. Ihr
könt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entwe-
der nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene
Zweifel ausfindig machen.

Die Zufälligkeit der Zeugungen, die bey Menschen,
so wie beim vernunftlosen Geschöpfe, von der Gelegenheit,
überdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung,
deren Launen und Einfällen, oft so gar vom Laster abhängt,
macht eine grosse Schwierigkeit wider die Meinung, der
auf Ewigkeiten sich erstreckenden Fortdauer eines Geschöpfs,
dessen Leben unter so unerheblichen und unserer Freiheit so
ganz und gar überlassenen Umständen zuerst angefangen
hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf
Erden) betrift, so hat diese Schwierigkeit in Ansehung der-
selben wenig auf sich, weil der Zufall im Einzelnen nichts
desto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen ist; aber
in Ansehung eines ieden Individuum eine so mächtige Wir-
kung von so geringsügigen Ursachen zu erwarten, scheint
allerdings bedenklich. Hiewider könt ihr aber eine transscen-
dentale Hypothese aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur

intelli-

Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen.
des intellectuellen. Der Coͤrper waͤre alſo nicht die Urſa-
che des Denkens, fondern eine blos reſtringirende Bedin-
gung deſſelben, mithin zwar als Befoͤrderung des ſinnli-
chen und animaliſchen, aber deſto mehr auch als Hin-
derniß des reinen und ſpirituellen Lebens anzuſehen, und
die Abhaͤngigkeit des erſteren von der koͤrperlichen Be-
ſchaffenheit bewieſe nichts vor die Abhaͤngigkeit des gan-
zen Lebens, von dem Zuſtande unſerer Organen. Ihr
koͤnt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entwe-
der nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene
Zweifel ausfindig machen.

Die Zufaͤlligkeit der Zeugungen, die bey Menſchen,
ſo wie beim vernunftloſen Geſchoͤpfe, von der Gelegenheit,
uͤberdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung,
deren Launen und Einfaͤllen, oft ſo gar vom Laſter abhaͤngt,
macht eine groſſe Schwierigkeit wider die Meinung, der
auf Ewigkeiten ſich erſtreckenden Fortdauer eines Geſchoͤpfs,
deſſen Leben unter ſo unerheblichen und unſerer Freiheit ſo
ganz und gar uͤberlaſſenen Umſtaͤnden zuerſt angefangen
hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf
Erden) betrift, ſo hat dieſe Schwierigkeit in Anſehung der-
ſelben wenig auf ſich, weil der Zufall im Einzelnen nichts
deſto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen iſt; aber
in Anſehung eines ieden Individuum eine ſo maͤchtige Wir-
kung von ſo geringſuͤgigen Urſachen zu erwarten, ſcheint
allerdings bedenklich. Hiewider koͤnt ihr aber eine transſcen-
dentale Hypotheſe aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur

intelli-
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[779/0809] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. des intellectuellen. Der Coͤrper waͤre alſo nicht die Urſa- che des Denkens, fondern eine blos reſtringirende Bedin- gung deſſelben, mithin zwar als Befoͤrderung des ſinnli- chen und animaliſchen, aber deſto mehr auch als Hin- derniß des reinen und ſpirituellen Lebens anzuſehen, und die Abhaͤngigkeit des erſteren von der koͤrperlichen Be- ſchaffenheit bewieſe nichts vor die Abhaͤngigkeit des gan- zen Lebens, von dem Zuſtande unſerer Organen. Ihr koͤnt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entwe- der nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene Zweifel ausfindig machen. Die Zufaͤlligkeit der Zeugungen, die bey Menſchen, ſo wie beim vernunftloſen Geſchoͤpfe, von der Gelegenheit, uͤberdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und Einfaͤllen, oft ſo gar vom Laſter abhaͤngt, macht eine groſſe Schwierigkeit wider die Meinung, der auf Ewigkeiten ſich erſtreckenden Fortdauer eines Geſchoͤpfs, deſſen Leben unter ſo unerheblichen und unſerer Freiheit ſo ganz und gar uͤberlaſſenen Umſtaͤnden zuerſt angefangen hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf Erden) betrift, ſo hat dieſe Schwierigkeit in Anſehung der- ſelben wenig auf ſich, weil der Zufall im Einzelnen nichts deſto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen iſt; aber in Anſehung eines ieden Individuum eine ſo maͤchtige Wir- kung von ſo geringſuͤgigen Urſachen zu erwarten, ſcheint allerdings bedenklich. Hiewider koͤnt ihr aber eine transſcen- dentale Hypotheſe aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur intelli-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/809>, abgerufen am 23.11.2024.