che ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung giebt, der sie gleichwol das Wort reden sollen.
Wenn die hier zum Beispiele angeführte Vernunft- behauptungen (unkörperliche Einheit der Seele und Da- seyn eines höchsten Wesens) nicht als Hypothesen, sondern a priori bewiesene Dogmate gelten sollen, so ist alsdenn von ihnen gar nicht die Rede. In solchem Falle aber sehe man sich ia vor: daß der Beweis die apodictische Ge- wißheit einer Demonstration habe. Denn die Wirklichkeit solcher Ideen blos wahrscheinlich machen zu wollen, ist ein ungereimter Vorsatz, eben so, als wenn man einen Satz der Geometrie blos wahrscheinlich zu beweisen gedächte. Die von aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kan alles nur a priori und als nothwendig oder gar nicht erkennen; daher ist ihr Urtheil niemals Meinung, sondern entweder Enthaltung von allem Urtheile, oder apodictische Gewiß- heit. Meinungen und wahrscheinliche Urtheile von dem, was Dingen zukomt, können nur als Erklärungsgründe dessen, was wirklich gegeben ist, oder Folgen nach empi- rischen Gesetzen von dem, was als wirklich zum Grunde liegt, mithin nur in der Reihe der Gegenstände der Er- fahrung vorkommen. Ausser diesem Felde ist Meinen so viel, als mit Gedanken spielen, es müßte denn seyn, daß man von einem unsicheren Wege des Urtheils blos die Meinung hätte, vielleicht auf ihm die Wahrheit zu finden.
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Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen.
che ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung giebt, der ſie gleichwol das Wort reden ſollen.
Wenn die hier zum Beiſpiele angefuͤhrte Vernunft- behauptungen (unkoͤrperliche Einheit der Seele und Da- ſeyn eines hoͤchſten Weſens) nicht als Hypotheſen, ſondern a priori bewieſene Dogmate gelten ſollen, ſo iſt alsdenn von ihnen gar nicht die Rede. In ſolchem Falle aber ſehe man ſich ia vor: daß der Beweis die apodictiſche Ge- wißheit einer Demonſtration habe. Denn die Wirklichkeit ſolcher Ideen blos wahrſcheinlich machen zu wollen, iſt ein ungereimter Vorſatz, eben ſo, als wenn man einen Satz der Geometrie blos wahrſcheinlich zu beweiſen gedaͤchte. Die von aller Erfahrung abgeſonderte Vernunft kan alles nur a priori und als nothwendig oder gar nicht erkennen; daher iſt ihr Urtheil niemals Meinung, ſondern entweder Enthaltung von allem Urtheile, oder apodictiſche Gewiß- heit. Meinungen und wahrſcheinliche Urtheile von dem, was Dingen zukomt, koͤnnen nur als Erklaͤrungsgruͤnde deſſen, was wirklich gegeben iſt, oder Folgen nach empi- riſchen Geſetzen von dem, was als wirklich zum Grunde liegt, mithin nur in der Reihe der Gegenſtaͤnde der Er- fahrung vorkommen. Auſſer dieſem Felde iſt Meinen ſo viel, als mit Gedanken ſpielen, es muͤßte denn ſeyn, daß man von einem unſicheren Wege des Urtheils blos die Meinung haͤtte, vielleicht auf ihm die Wahrheit zu finden.
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[775/0805]
Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen.
che ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung
giebt, der ſie gleichwol das Wort reden ſollen.
Wenn die hier zum Beiſpiele angefuͤhrte Vernunft-
behauptungen (unkoͤrperliche Einheit der Seele und Da-
ſeyn eines hoͤchſten Weſens) nicht als Hypotheſen, ſondern
a priori bewieſene Dogmate gelten ſollen, ſo iſt alsdenn
von ihnen gar nicht die Rede. In ſolchem Falle aber
ſehe man ſich ia vor: daß der Beweis die apodictiſche Ge-
wißheit einer Demonſtration habe. Denn die Wirklichkeit
ſolcher Ideen blos wahrſcheinlich machen zu wollen, iſt
ein ungereimter Vorſatz, eben ſo, als wenn man einen Satz
der Geometrie blos wahrſcheinlich zu beweiſen gedaͤchte.
Die von aller Erfahrung abgeſonderte Vernunft kan alles
nur a priori und als nothwendig oder gar nicht erkennen;
daher iſt ihr Urtheil niemals Meinung, ſondern entweder
Enthaltung von allem Urtheile, oder apodictiſche Gewiß-
heit. Meinungen und wahrſcheinliche Urtheile von dem,
was Dingen zukomt, koͤnnen nur als Erklaͤrungsgruͤnde
deſſen, was wirklich gegeben iſt, oder Folgen nach empi-
riſchen Geſetzen von dem, was als wirklich zum Grunde
liegt, mithin nur in der Reihe der Gegenſtaͤnde der Er-
fahrung vorkommen. Auſſer dieſem Felde iſt Meinen
ſo viel, als mit Gedanken ſpielen, es muͤßte denn ſeyn,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 775. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/805>, abgerufen am 23.11.2024.
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