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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch.
solchen, die sie a priori darstellet, d. i. construiret hat,
und in welcher dasienige, was aus den allgemeinen Be-
dingungen der Construction folgt, auch von dem Obiecte
des construirten Begriffs allgemein gelten muß.

Man gebe einem Philosophen den Begriff eines Trian-
gels und lasse ihn nach seiner Art ausfündig machen, wie
sich wol die Summe seiner Winkel zum rechten verhalten
möge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur,
die in drey geraden Linien eingeschlossen ist, und an ihr den
Begriff von eben so viel Winkeln. Nun mag er diesem
Begriffe nachdenken, so lange er will, er wird nichts
Neues heraus bringen. Er kan den Begriff der geraden
Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drey zergliedern
und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenschaften
kommen, die in diesen Begriffen gar nicht liegen. Allein
der Geometer nehme diese Frage vor. Er fängt sofort da-
von an, einen Triangel zu construiren. Weil er weis,
daß zwey rechte Winkel zusammen gerade so viel austra-
gen, als alle berührende Winkel, die aus einem Puncte
auf einer graden Linie gezogen werden können, zusammen,
so verlängert er eine Seite seines Triangels und bekomt
zwey berührende Winkel, die zweien rechten zusammen
gleich seyn. Nun theilet er den äusseren von diesen Win-
keln, indem er eine Linie mit der gegenüberstehenden Seite
des Triangels parallel zieht, und sieht, daß hier ein äus-
serer berührender Winkel entspringe, der einem inneren
gleich ist, u. s. w. Er gelangt auf solche Weise durch eine

Kette

Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch.
ſolchen, die ſie a priori darſtellet, d. i. conſtruiret hat,
und in welcher dasienige, was aus den allgemeinen Be-
dingungen der Conſtruction folgt, auch von dem Obiecte
des conſtruirten Begriffs allgemein gelten muß.

Man gebe einem Philoſophen den Begriff eines Trian-
gels und laſſe ihn nach ſeiner Art ausfuͤndig machen, wie
ſich wol die Summe ſeiner Winkel zum rechten verhalten
moͤge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur,
die in drey geraden Linien eingeſchloſſen iſt, und an ihr den
Begriff von eben ſo viel Winkeln. Nun mag er dieſem
Begriffe nachdenken, ſo lange er will, er wird nichts
Neues heraus bringen. Er kan den Begriff der geraden
Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drey zergliedern
und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenſchaften
kommen, die in dieſen Begriffen gar nicht liegen. Allein
der Geometer nehme dieſe Frage vor. Er faͤngt ſofort da-
von an, einen Triangel zu conſtruiren. Weil er weis,
daß zwey rechte Winkel zuſammen gerade ſo viel austra-
gen, als alle beruͤhrende Winkel, die aus einem Puncte
auf einer graden Linie gezogen werden koͤnnen, zuſammen,
ſo verlaͤngert er eine Seite ſeines Triangels und bekomt
zwey beruͤhrende Winkel, die zweien rechten zuſammen
gleich ſeyn. Nun theilet er den aͤuſſeren von dieſen Win-
keln, indem er eine Linie mit der gegenuͤberſtehenden Seite
des Triangels parallel zieht, und ſieht, daß hier ein aͤuſ-
ſerer beruͤhrender Winkel entſpringe, der einem inneren
gleich iſt, u. ſ. w. Er gelangt auf ſolche Weiſe durch eine

Kette
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[716/0746] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. ſolchen, die ſie a priori darſtellet, d. i. conſtruiret hat, und in welcher dasienige, was aus den allgemeinen Be- dingungen der Conſtruction folgt, auch von dem Obiecte des conſtruirten Begriffs allgemein gelten muß. Man gebe einem Philoſophen den Begriff eines Trian- gels und laſſe ihn nach ſeiner Art ausfuͤndig machen, wie ſich wol die Summe ſeiner Winkel zum rechten verhalten moͤge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur, die in drey geraden Linien eingeſchloſſen iſt, und an ihr den Begriff von eben ſo viel Winkeln. Nun mag er dieſem Begriffe nachdenken, ſo lange er will, er wird nichts Neues heraus bringen. Er kan den Begriff der geraden Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drey zergliedern und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenſchaften kommen, die in dieſen Begriffen gar nicht liegen. Allein der Geometer nehme dieſe Frage vor. Er faͤngt ſofort da- von an, einen Triangel zu conſtruiren. Weil er weis, daß zwey rechte Winkel zuſammen gerade ſo viel austra- gen, als alle beruͤhrende Winkel, die aus einem Puncte auf einer graden Linie gezogen werden koͤnnen, zuſammen, ſo verlaͤngert er eine Seite ſeines Triangels und bekomt zwey beruͤhrende Winkel, die zweien rechten zuſammen gleich ſeyn. Nun theilet er den aͤuſſeren von dieſen Win- keln, indem er eine Linie mit der gegenuͤberſtehenden Seite des Triangels parallel zieht, und ſieht, daß hier ein aͤuſ- ſerer beruͤhrender Winkel entſpringe, der einem inneren gleich iſt, u. ſ. w. Er gelangt auf ſolche Weiſe durch eine Kette

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/746>, abgerufen am 22.11.2024.