Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen und speculativen Vernunft wie ein Gebäude anse- he, dazu wir wenigstens die Idee in uns haben, so kan ich sagen, wir haben in der transscendentalen Elementar- lehre den Bauzeug überschlagen und bestimt, zu welchem Gebäude, von welcher Höhe und Festigkeit er zulange. Freilich fand es sich: daß, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen solte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhause zureichte, welches zu unseren Geschäften auf der Ebene der Erfahrung gerade geräumig und hoch gnug war, sie zu übersehen, daß aber iene kühne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlschlagen mußte, ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter über den Plan unvermeidlich entzweien und sie in alle Welt zer- streuen mußte, um sich, ein ieder nach seinem Entwurfe, besonders anzubauen. Jezt ist es uns nicht so wol um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und, indem wir gewarnet sind, es nicht auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unser ganzes Vermögen übersteigen könte, zu wagen, gleichwol doch von der Er- richtung eines festen Wohnsitzes nicht wol abstehen kön- nen, den Anschlag zu einem Gebäude in Verhältniß auf den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unserem Bedürfniß angemessen ist, zu machen.
Ich verstehe also unter der transscendentalen Metho- denlehre, die Bestimmung der formalen Bedingungen eines
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Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen und ſpeculativen Vernunft wie ein Gebaͤude anſe- he, dazu wir wenigſtens die Idee in uns haben, ſo kan ich ſagen, wir haben in der transſcendentalen Elementar- lehre den Bauzeug uͤberſchlagen und beſtimt, zu welchem Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Feſtigkeit er zulange. Freilich fand es ſich: daß, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen ſolte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhauſe zureichte, welches zu unſeren Geſchaͤften auf der Ebene der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, ſie zu uͤberſehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlſchlagen mußte, ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber den Plan unvermeidlich entzweien und ſie in alle Welt zer- ſtreuen mußte, um ſich, ein ieder nach ſeinem Entwurfe, beſonders anzubauen. Jezt iſt es uns nicht ſo wol um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und, indem wir gewarnet ſind, es nicht auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unſer ganzes Vermoͤgen uͤberſteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er- richtung eines feſten Wohnſitzes nicht wol abſtehen koͤn- nen, den Anſchlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unſerem Beduͤrfniß angemeſſen iſt, zu machen.
Ich verſtehe alſo unter der transſcendentalen Metho- denlehre, die Beſtimmung der formalen Bedingungen eines
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Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen
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he, dazu wir wenigſtens die Idee in uns haben, ſo kan
ich ſagen, wir haben in der transſcendentalen Elementar-
lehre den Bauzeug uͤberſchlagen und beſtimt, zu welchem
Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Feſtigkeit er zulange.
Freilich fand es ſich: daß, ob wir zwar einen Thurm im
Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen ſolte, der
Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhauſe
zureichte, welches zu unſeren Geſchaͤften auf der Ebene
der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, ſie
zu uͤberſehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus
Mangel an Stoff fehlſchlagen mußte, ohne einmal auf die
Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber
den Plan unvermeidlich entzweien und ſie in alle Welt zer-
ſtreuen mußte, um ſich, ein ieder nach ſeinem Entwurfe,
beſonders anzubauen. Jezt iſt es uns nicht ſo wol um
die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und,
indem wir gewarnet ſind, es nicht auf einen beliebigen
blinden Entwurf, der vielleicht unſer ganzes Vermoͤgen
uͤberſteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er-
richtung eines feſten Wohnſitzes nicht wol abſtehen koͤn-
nen, den Anſchlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf
den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unſerem
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/737>, abgerufen am 22.11.2024.
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