unserer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben die- selbe Idee ist also vor uns gesetzgebend und so ist es sehr natürlich, eine ihr correspondirende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle syste- matische Einheit der Natur, als dem Gegenstande unserer Vernunft, abzuleiten sey.
Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der rei- nen Vernunft gesagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, schlechterdings beantwortlich seyn müs- sen, und daß die Entschuldigung mit den Schranken un- serer Erkentniß, die in vielen Naturfragen eben so unver- meidlich, als billig ist, hier nicht gestattet werden könne, weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, sondern allein durch die Natur der Vernunft und lediglich über ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden. Jezt können wir diese dem ersten Anscheine nach kühne Behauptung in Ansehung der zween Fragen, wobey die reine Vernunft ihr größtes Interesse hat, bestätigen und dadurch unsere Betrachtung über die Dialectik derselben zur gänzlichen Vollendung bringen.
Frägt man denn also (in Absicht auf eine transscen- dentale Theologie*) erstlich: ob es etwas von der Welt
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*) Dasienige, was ich schon vorher von der psychologischen Idee und deren eigentlichen Bestimmung, als Princip's
zum
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VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
unſerer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben die- ſelbe Idee iſt alſo vor uns geſetzgebend und ſo iſt es ſehr natuͤrlich, eine ihr correſpondirende geſetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle ſyſte- matiſche Einheit der Natur, als dem Gegenſtande unſerer Vernunft, abzuleiten ſey.
Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der rei- nen Vernunft geſagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, ſchlechterdings beantwortlich ſeyn muͤſ- ſen, und daß die Entſchuldigung mit den Schranken un- ſerer Erkentniß, die in vielen Naturfragen eben ſo unver- meidlich, als billig iſt, hier nicht geſtattet werden koͤnne, weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, ſondern allein durch die Natur der Vernunft und lediglich uͤber ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden. Jezt koͤnnen wir dieſe dem erſten Anſcheine nach kuͤhne Behauptung in Anſehung der zween Fragen, wobey die reine Vernunft ihr groͤßtes Intereſſe hat, beſtaͤtigen und dadurch unſere Betrachtung uͤber die Dialectik derſelben zur gaͤnzlichen Vollendung bringen.
Fraͤgt man denn alſo (in Abſicht auf eine transſcen- dentale Theologie*) erſtlich: ob es etwas von der Welt
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*) Dasienige, was ich ſchon vorher von der pſychologiſchen Idee und deren eigentlichen Beſtimmung, als Princip’s
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VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
unſerer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben die-
ſelbe Idee iſt alſo vor uns geſetzgebend und ſo iſt es ſehr
natuͤrlich, eine ihr correſpondirende geſetzgebende Vernunft
(intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle ſyſte-
matiſche Einheit der Natur, als dem Gegenſtande unſerer
Vernunft, abzuleiten ſey.
Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der rei-
nen Vernunft geſagt: daß alle Fragen, welche die reine
Vernunft aufwirft, ſchlechterdings beantwortlich ſeyn muͤſ-
ſen, und daß die Entſchuldigung mit den Schranken un-
ſerer Erkentniß, die in vielen Naturfragen eben ſo unver-
meidlich, als billig iſt, hier nicht geſtattet werden koͤnne,
weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, ſondern
allein durch die Natur der Vernunft und lediglich uͤber
ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden.
Jezt koͤnnen wir dieſe dem erſten Anſcheine nach kuͤhne
Behauptung in Anſehung der zween Fragen, wobey die
reine Vernunft ihr groͤßtes Intereſſe hat, beſtaͤtigen und
dadurch unſere Betrachtung uͤber die Dialectik derſelben
zur gaͤnzlichen Vollendung bringen.
Fraͤgt man denn alſo (in Abſicht auf eine transſcen-
dentale Theologie *) erſtlich: ob es etwas von der Welt
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/725>, abgerufen am 22.11.2024.
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