Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
zunächst auf ein Individuum bezogen seyn könne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter sich ent- halten müsse. Dieses Gesetz der Specification könte so ausgedrückt werden: entium varietates non temere esse minuendas.
Man sieht aber leicht: daß auch dieses logische Ge- setz ohne Sinn und Anwendung seyn würde, läge nicht ein transscendentales Gesetz der Specification zum Grun- de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un- sere Gegenstände werden können, eine wirkliche Unendlich- keit in Ansehung der Verschiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logische Princip, als welches lediglich die Unbe- stimtheit der logischen Sphäre in Ansehung der möglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verstande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verschiedenheit kleinere Verschie- denheiten zu suchen. Denn würde es keine niedere Be- griffe geben, so gäbe es auch keine höhere. Nun erkent der Verstand alles nur durch Begriffe: folglich, so weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch blosse Anschauung, sondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erscheinungen in ihrer durchgängigen Be- stimmung (welche nur durch Verstand möglich ist) fodert eine unaufhörlich fortzusetzende Specification seiner Be- griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver- schiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abstrahirt worden.
Auch
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
zunaͤchſt auf ein Individuum bezogen ſeyn koͤnne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter ſich ent- halten muͤſſe. Dieſes Geſetz der Specification koͤnte ſo ausgedruͤckt werden: entium varietates non temere eſſe minuendas.
Man ſieht aber leicht: daß auch dieſes logiſche Ge- ſetz ohne Sinn und Anwendung ſeyn wuͤrde, laͤge nicht ein transſcendentales Geſetz der Specification zum Grun- de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un- ſere Gegenſtaͤnde werden koͤnnen, eine wirkliche Unendlich- keit in Anſehung der Verſchiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logiſche Princip, als welches lediglich die Unbe- ſtimtheit der logiſchen Sphaͤre in Anſehung der moͤglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verſtande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verſchiedenheit kleinere Verſchie- denheiten zu ſuchen. Denn wuͤrde es keine niedere Be- griffe geben, ſo gaͤbe es auch keine hoͤhere. Nun erkent der Verſtand alles nur durch Begriffe: folglich, ſo weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch bloſſe Anſchauung, ſondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erſcheinungen in ihrer durchgaͤngigen Be- ſtimmung (welche nur durch Verſtand moͤglich iſt) fodert eine unaufhoͤrlich fortzuſetzende Specification ſeiner Be- griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver- ſchiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abſtrahirt worden.
Auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0686"n="656"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">III.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>
zunaͤchſt auf ein Individuum bezogen ſeyn koͤnne, folglich<lb/>
iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter ſich ent-<lb/>
halten muͤſſe. Dieſes Geſetz der Specification koͤnte ſo<lb/>
ausgedruͤckt werden: <hirendition="#aq">entium varietates non temere eſſe<lb/>
minuendas</hi>.</p><lb/><p>Man ſieht aber leicht: daß auch dieſes logiſche Ge-<lb/>ſetz ohne Sinn und Anwendung ſeyn wuͤrde, laͤge nicht<lb/>
ein transſcendentales <hirendition="#fr">Geſetz</hi> der <hirendition="#fr">Specification</hi> zum Grun-<lb/>
de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un-<lb/>ſere Gegenſtaͤnde werden koͤnnen, eine wirkliche <hirendition="#fr">Unendlich-<lb/>
keit</hi> in Anſehung der Verſchiedenheiten fodert, denn dazu<lb/>
giebt das logiſche Princip, als welches lediglich die <hirendition="#fr">Unbe-<lb/>ſtimtheit</hi> der logiſchen Sphaͤre in Anſehung der moͤglichen<lb/>
Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem<lb/>
Verſtande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt,<lb/>
Unterarten und zu ieder Verſchiedenheit kleinere Verſchie-<lb/>
denheiten zu ſuchen. Denn wuͤrde es keine niedere Be-<lb/>
griffe geben, ſo gaͤbe es auch keine hoͤhere. Nun erkent<lb/>
der Verſtand alles nur durch Begriffe: folglich, ſo weit er<lb/>
in der Eintheilung reicht, niemals durch bloſſe Anſchauung,<lb/>ſondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die<lb/>
Erkentniß der Erſcheinungen in ihrer durchgaͤngigen Be-<lb/>ſtimmung (welche nur durch Verſtand moͤglich iſt) fodert<lb/>
eine unaufhoͤrlich fortzuſetzende Specification ſeiner Be-<lb/>
griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver-<lb/>ſchiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch<lb/>
mehr, dem der Gattung, abſtrahirt worden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Auch</fw><lb/></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[656/0686]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
zunaͤchſt auf ein Individuum bezogen ſeyn koͤnne, folglich
iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter ſich ent-
halten muͤſſe. Dieſes Geſetz der Specification koͤnte ſo
ausgedruͤckt werden: entium varietates non temere eſſe
minuendas.
Man ſieht aber leicht: daß auch dieſes logiſche Ge-
ſetz ohne Sinn und Anwendung ſeyn wuͤrde, laͤge nicht
ein transſcendentales Geſetz der Specification zum Grun-
de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un-
ſere Gegenſtaͤnde werden koͤnnen, eine wirkliche Unendlich-
keit in Anſehung der Verſchiedenheiten fodert, denn dazu
giebt das logiſche Princip, als welches lediglich die Unbe-
ſtimtheit der logiſchen Sphaͤre in Anſehung der moͤglichen
Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem
Verſtande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt,
Unterarten und zu ieder Verſchiedenheit kleinere Verſchie-
denheiten zu ſuchen. Denn wuͤrde es keine niedere Be-
griffe geben, ſo gaͤbe es auch keine hoͤhere. Nun erkent
der Verſtand alles nur durch Begriffe: folglich, ſo weit er
in der Eintheilung reicht, niemals durch bloſſe Anſchauung,
ſondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die
Erkentniß der Erſcheinungen in ihrer durchgaͤngigen Be-
ſtimmung (welche nur durch Verſtand moͤglich iſt) fodert
eine unaufhoͤrlich fortzuſetzende Specification ſeiner Be-
griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver-
ſchiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch
mehr, dem der Gattung, abſtrahirt worden.
Auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/686>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.