VI. Absch. Unmöglichkeit eines physicotheolog. etc.
halte nach, noch weniger wissen wir ihre Grösse durch die Vergleichung mit allem, was möglich ist, zu schätzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Caus- salität ein äusserstes und oberstes Wesen bedürfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach über alles andere Mögliche setzen solten, welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abstracten Be- griffs, bewerkstelligen können, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle mögliche Vollkommenheit ver- einigt vorstellen, welcher Begriff der Foderung unserer Vernunft in der Erspahrung der Principien günstig, in sich selbst keinen Widersprüchen unterworfen und selbst der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfah- rung, durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ord- nung und Zweckmässigkeit giebt, zuträglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider ist.
Dieser Beweis verdient iederzeit mit Achtung ge- nant zu werden. Er ist der älteste, kläreste und der ge- meinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von die- sem sein Daseyn hat und dadurch immer neue Kraft be- komt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie un- sere Beobachtung nicht von selbst entdekt hätte und erwei- terr unsere Naturkentnisse durch den Leitfaden einer beson- deren Einheit, deren Princip ausser der Natur ist. Diese Kentnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nemlich die
veran-
VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc.
halte nach, noch weniger wiſſen wir ihre Groͤſſe durch die Vergleichung mit allem, was moͤglich iſt, zu ſchaͤtzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Abſicht auf Cauſ- ſalitaͤt ein aͤuſſerſtes und oberſtes Weſen beduͤrfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach uͤber alles andere Moͤgliche ſetzen ſolten, welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abſtracten Be- griffs, bewerkſtelligen koͤnnen, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Subſtanz, alle moͤgliche Vollkommenheit ver- einigt vorſtellen, welcher Begriff der Foderung unſerer Vernunft in der Erſpahrung der Principien guͤnſtig, in ſich ſelbſt keinen Widerſpruͤchen unterworfen und ſelbſt der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfah- rung, durch die Leitung, welche eine ſolche Idee auf Ord- nung und Zweckmaͤſſigkeit giebt, zutraͤglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entſchiedene Art zuwider iſt.
Dieſer Beweis verdient iederzeit mit Achtung ge- nant zu werden. Er iſt der aͤlteſte, klaͤreſte und der ge- meinen Menſchenvernunft am meiſten angemeſſene. Er belebt das Studium der Natur, ſo wie er ſelbſt von die- ſem ſein Daſeyn hat und dadurch immer neue Kraft be- komt. Er bringt Zwecke und Abſichten dahin, wo ſie un- ſere Beobachtung nicht von ſelbſt entdekt haͤtte und erwei- terr unſere Naturkentniſſe durch den Leitfaden einer beſon- deren Einheit, deren Princip auſſer der Natur iſt. Dieſe Kentniſſe wirken aber wieder auf ihre Urſache, nemlich die
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VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc.
halte nach, noch weniger wiſſen wir ihre Groͤſſe durch die
Vergleichung mit allem, was moͤglich iſt, zu ſchaͤtzen.
Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Abſicht auf Cauſ-
ſalitaͤt ein aͤuſſerſtes und oberſtes Weſen beduͤrfen, es nicht
zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach uͤber alles
andere Moͤgliche ſetzen ſolten, welches wir leicht, obzwar
freilich nur durch den zarten Umriß eines abſtracten Be-
griffs, bewerkſtelligen koͤnnen, wenn wir uns in ihm, als
einer einigen Subſtanz, alle moͤgliche Vollkommenheit ver-
einigt vorſtellen, welcher Begriff der Foderung unſerer
Vernunft in der Erſpahrung der Principien guͤnſtig, in
ſich ſelbſt keinen Widerſpruͤchen unterworfen und ſelbſt der
Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfah-
rung, durch die Leitung, welche eine ſolche Idee auf Ord-
nung und Zweckmaͤſſigkeit giebt, zutraͤglich, nirgend aber
einer Erfahrung auf entſchiedene Art zuwider iſt.
Dieſer Beweis verdient iederzeit mit Achtung ge-
nant zu werden. Er iſt der aͤlteſte, klaͤreſte und der ge-
meinen Menſchenvernunft am meiſten angemeſſene. Er
belebt das Studium der Natur, ſo wie er ſelbſt von die-
ſem ſein Daſeyn hat und dadurch immer neue Kraft be-
komt. Er bringt Zwecke und Abſichten dahin, wo ſie un-
ſere Beobachtung nicht von ſelbſt entdekt haͤtte und erwei-
terr unſere Naturkentniſſe durch den Leitfaden einer beſon-
deren Einheit, deren Princip auſſer der Natur iſt. Dieſe
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/653>, abgerufen am 22.11.2024.
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